Accelerando
beherrschende Neurosen. Elektrisch aufgeladene, in Stanniol
eingefasste Hüte haben dauerhaft Hochkonjunktur. Dennoch
haben bereits Abermillionen von Menschen ihre fleischlichen
Marionetten aufgegeben und sich in Denkmaschinen verwandelt –
und ihre Zahl wächst rapide. In wenigen Jahren wird die
Bevölkerung aus Fleisch und Blut gegenüber der
posthumanen Spezies hoffnungslos in der Minderheit sein.
Irgendwann später wird es vermutlich zu einem Krieg kommen.
Denn diejenigen, die in höheren gedanklichen Sphären
schweben, gieren danach, unintelligente Materie in intelligente
umzuwandeln. Und die Menschen aus Fleisch und Blut wissen
bekanntermaßen das, was sich an Silizium und anderen
kostbaren Elementen auf dem Grunde der Gravitationssenke namens
Erde angesammelt hat, nur schlecht zu nutzen.
Innerhalb des Sonnensystems treiben Energie und Gedankenkraft
einen fundamentalen Wandel in der Substanz der verdichteten
Materie voran. Wenn man sich eine S-förmige Kurve vorstellt,
dann entspricht dem Wachstum der MIPS pro Kilogramm die steil
aufstrebende Verbindungslinie zwischen unterer und oberer
Krümmung. Während die Kinder dieser Zeit, die nur noch
aus Verstand bestehen, dabei sind, alles mit Hilfe
unersättlicher nanomechanischer Helfer umzustrukturieren,
erwacht die unintelligente Materie zum Leben. Die geballten
Gedanken, die sich derzeit im Sonnenorbit herausbilden, werden
letztendlich zum Sargnagel jeder auf Biologie basierenden
Ökologie werden. Vielleicht werden eines Tages die Teleskope
irgendeiner Spezies der neuen Eisenzeit einen leuchtenden Punkt im
All ausmachen, sofern die Leute überhaupt begreifen, dass sie
hier etwas ganz Besonderes sehen: den Todeskampf unintelligenter
Materie und die Geburt einer bewohnbaren Realität, die sich
weiter erstreckt als eine Galaxie, sich jedoch sehr viel schneller
ausdehnt. Im Umkreis dieses Sterns, in einem Umkreis, sagen wir,
von einem Lichtjahr, geht ein Todeskampf vor sich, bei dem alles
biologische Leben sein Ende finden wird. Das ist nur eine Sache
weniger Jahrhunderte. Denn die majestätischen
Matroschka-Gehirne mögen zwar den Gipfel einer mit
Bewusstsein begabten, intelligenten Zivilisation darstellen, aber
organischem Leben bieten sie lediglich feindselige Umgebungen, das
liegt in ihrer Natur.
Pierre, Donna (»das Auge, das alles sieht«) und Su Ang
berichten Amber bei eiskalten Margaritas und einem sehr gelungen
simulierten Joint, den sie kreisen lassen, was sie über den Basar herausgefunden haben – so nennen sie den Raum, den
das Gespenst als die demilitarisierte Zone bezeichnet hat.
Nach subjektiver Zeitrechnung sind einige von ihnen hier jahrelang
herumgerannt. Amber muss sich viele Informationen einverleiben.
»Die physikalische Ebene hat einen Durchmesser von einer
halben Lichtstunde und ist vierhundertmal massiver als die
Erde«, erklärt Pierre. »Selbstverständlich
handelt es sich nicht um einen Festkörper, die größte
Komponente ist etwa so groß wie früher einmal meine
Faust.« Amber kneift die Augen zusammen und versucht sich ins
Gedächtnis zu rufen, wie groß Pierres Faust war. Es
fällt schwer, sich genau an bestimmte Maßstäbe zu
erinnern. »Ich hab da so einen alten Chat-Bot getroffen, der mir
erzählt hat, er habe seinen Ursprungsstern überlebt,
allerdings bin ich mir nicht sicher, ob er noch ganz richtig tickt.
Jedenfalls sind wir, falls es stimmt, was er sagt, ein
Drittellichtjahr von einem eng miteinander verbundenen binären
System entfernt. Die benutzen Orbitallaser so groß wie Jupiter,
um es mit Energie zu speisen, ohne all diesen tückischen
Gravitationstrichtern zu nahe zu kommen.«
Wider besseres Wissen fühlt sich Amber eingeschüchtert,
denn dieser bizarre Basar ist Abermilliarden Mal größer
als die gesamte menschliche Zivilisation vor der Singularität.
Sie bemüht sich, die anderen nichts davon merken zu lassen, aber
sie befürchtet, dass ihnen der Rückweg nach Hause versperrt
sein könnte. Denn er erfordert Geschäftsabschlüsse
jenseits ihres eigenen ökonomischen Ereignishorizonts, was
ungefähr so realistisch ist wie der Vorschlag, jemandem einen
Dirne als Dollar zu verkaufen. Dennoch muss sie wenigstens einen
Versuch machen. Schon das Wissen, dass dieser Basar existiert, wird
einiges ändern…
»An wie viel Geld kommen wir heran?«, fragt sie.
»Und was gilt hier überhaupt als Zahlungsmittel?
Vorausgesetzt, die haben hier ein Wirtschaftssystem, das
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