Accelerando
vorsichtig
Platz. »Das könnten sehr gute Neuigkeiten sein – oder
auch sehr schlechte.«
»Hm.« Amber hört auf, die Umgebung zu sondieren, in
der sie keine Spur von Leben entdeckt hat. Da ihr nichts Besseres
einfällt, schlendert sie zum Tisch hinüber und nimmt
gegenüber von Sadeq Platz. Ihr forschender Blick macht ihn
offenbar leicht nervös, vielleicht ist es aber auch nur
Verlegenheit, weil er sie in Unterwäsche gesehen hat. Wenn
ich ein solches Leben nach dem Tode genossen hätte, wäre
ich jetzt auch verlegen, denkt Amber bei sich.
»He, Sie wären ja fast über das hier
gestolpert…« Sadeq erstarrt und mustert etwas, das nahe an
Ambers linkem Fuß liegt. Einen Augenblick wirkt er verwirrt,
dann grinst er breit. »Was machst du denn hier?«,
fragt er etwas, das in Ambers totem Winkel liegt.
»Mit wem reden Sie?«, fragt sie beunruhigt.
Er redet mit mir, Dummchen, sagt etwas quälend
Vertrautes, das für Amber nach wie vor unsichtbar ist. Also
versuchen diese verdammten Idioten dich dazu zu benutzen, mich zu
vertreiben, hm? Ist ja nicht gerade schlau.
»Wer…« Amber blickt mit zusammengekniffenen Augen
auf das Pflaster und schickt jede Menge Agenten aus, die sich hastig
an Ambers Programmen zur Modifikation von Realitäten zu schaffen
machen, doch nichts scheint ihre Blindheit beheben zu können.
»Bist du das Alien?«
»Was könnte ich denn sonst sein?«, fragt der blinde
Fleck äußerst ironisch. »Nein, ich bin die Hauskatze
deines Vaters. Hör mal, willst du hier raus?«
»Ah.« Amber reibt sich die Augen. »Ich kann dich
nicht sehen, wer oder was du auch sein magst«, erwidert sie
höflich. »Kenne ich dich?« Sie hat das seltsame
Gefühl, dieses Wesen im toten Winkel tatsächlich zu kennen,
und spürt auch, wie wichtig es ist, dass sie sich daran
erinnert. Irgendetwas sehr Persönliches ist ihr abhanden
gekommen, und sie muss es finden, wenn sie ihr
Identitätsgefühl wiederherstellen will – aber was es
ist, kann sie nicht sagen.
»Tja, Mädchen.« Es schwingt resignierte Belustigung
in der künstlichen Stimme mit, die vom Nebelflecken auf dem
Pflaster zu Amber heraufdringt. »Die haben euch beide aber ganz
schön angezapft und manipuliert. Lass mich rein, dann reparier
ich das.«
»Nein!«, ruft Amber eine Sekunde vor Sadeq aus, der sie
seltsam ansieht. »Bist du tatsächlich ein
Eindringling?«
Der blinde Fleck seufzt. »Bin genauso ein Eindringling wie du
selbst, kannst du dich denn an nichts erinnern? Ich bin mit dir
zusammen hierher gekommen. Der Unterschied besteht nur darin, dass
ich nicht zulassen werde, mich von irgendeinem blöden
kollektiven Geist als fungible Währung benutzen zu
lassen.«
»Fungibel…« Sadeq hält inne. »Ich
erinnere mich an dich«, erklärt er bedächtig und mit
einer Miene äußerster Verblüffung. »Was willst
du damit sagen?«
Der blinde Fleck gähnt und entblößt dabei scharfe
Fangzähne aus Elfenbein. Amber schüttelt den Kopf und tut
es als vorübergehende Halluzination ab.
»Lass mich raten. Du bist in einem Zimmer aufgewacht, und
dieses fremde Gespenst hat dir erzählt, die menschliche Spezies
sei ausgestorben. Und es hat dich gebeten, mich zu liquidieren,
stimmt’s?«
Amber nickt, während ein eiskalter Finger über ihre
Wirbelsäule streicht. »Lügt das Gespenst?«
»Verdammt richtig.« Der blinde Fleck lächelt jetzt,
und das Lächeln bleibt im leeren Raum stehen. Amber kann das
Lächeln sehen, nur nicht den Körper, zu dem es gehört.
»Meiner Schätzung nach befinden wir uns rund sechzehn
Lichtjahre von der Erde. Die Wunch sind hier durchgekommen, haben die
Müllhalde geplündert und sind dann zu unbekannten Zielen
aufgebrochen. Du würdest nicht glauben, was das hier für
ein Dreckloch ist. Die wichtigste Lebensform ist eine unglaublich
überladene kommerzielle Ökosphäre, die rechtliche
Instrumente ausheckt und repliziert. Die Wesen hier überfallen
vorbeiziehende, mit Bewusstsein begabte Kreaturen und benutzen sie
als Währung.«
Hinter dem Lächeln steckt ein dreieckiger Kopf mit spitz
zulaufendem Kinn, spitzen Ohren und Schlitzaugen. Ein Raubtier mit
intelligentem, aber unendlich fremdartigem Gesicht, wie Amber aus den
Augenwinkeln erkennen kann, als sie sich auf der Piazza umsieht.
»Du meinst also, wir… äh… Du meinst also, dass
die uns geschnappt haben, sobald wir aufgetaucht sind? Und dass die
an meinen Erinnerungen herumgepfuscht haben?« Plötzlich
empfindet Amber es als unglaublich schwierig, sich zu
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