Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
Vom Netzwerk:
unintelligente Materie, die uns bis zur Ursuppe
zurückführt, wenn wir uns auf dieses Terrain begeben, nicht
wahr? Also ist mir die Idee gekommen, die Roboterkatze, die Katze
unserer Familie, zum Dreh- und Angelpunkt der Geschichte zu machen
und die Ereignisse aus ihrer Perspektive zu beleuchten – der
Perspektive einer Außenstehenden. Nur ist das verdammte Ding
abgetaucht, stimmt’s? – Nun ja, da derzeit noch so viel
menschliche Geschichte den Platzhalter der unberührten Zukunft
spielen muss, liegt die Arbeit von uns Geschichtsforschern darin, den
Cursor auf die Gegenwart zu richten und die Ereignisse aufzuzeichnen,
die derzeit protokolliert werden. Also kann ich ebenso gut zu Hause
anfangen.«
    »Du hast dir die Unsterblichkeit in den Kopf gesetzt.«
Pamela mustert sein Gesicht.
    »Ja«, erwidert er beiläufig. »Ehrlich gesagt,
kann ich zwar verstehen, dass du aus Rachgier heraus altern wolltest,
aber – Entschuldigung, wenn ich das sage – ich habe
Mühe zu begreifen, warum du diesen ganzen Alterungsprozess in
dieser Weise mitmachen willst! Ist das denn nicht schrecklich
quälend?«
    »Es ist nur natürlich, dass man altert«,
knurrt die alte Frau. »Wenn du so lange gelebt hast, dass sich
all deine ehrgeizigen Pläne in Rauch aufgelöst haben,
Freundschaften zerbrochen und Liebesaffären längst
vergessen sind oder du dich nur mehr an bittere Trennungen erinnerst,
was bleibt dir dann noch? Wozu weiterleben? Wenn du dich geistig
müde und alt fühlst, kannst du dich ebenso gut auch
körperlich müde und alt fühlen. Überhaupt ist es
unmoralisch, ewig leben zu wollen. Denk doch nur an all die
Ressourcen, die du verbrauchst, obwohl jüngere Menschen sie
benötigen! Und selbst Uploads sind nach gewisser Zeit mit einem
Verfallsdatum konfrontiert – dem Ende ihrer Abspeicherung. Es
ist eine ungeheuer egoistische Aussage, ewig leben zu wollen. Wenn es
eines gibt, an das ich glaube, dann ist es der Dienst an der
Allgemeinheit. Und an die Pflicht. Die auch die Verantwortlichkeit
bedeutet, den Weg für das Neue freizumachen. An Pflicht und
Kontrolle.«
    Während der Tisch den Hauptgang serviert – mit Honig
glasierten Schweinebraten, dazu ein sautiertes Kartoffelgratin und
Debussy-Karotten –, nimmt Sirhan alles in sich auf und nickt
bedächtig vor sich hin. Plötzlich ist von oben ein lauter
Schlag zu hören.
    »Was ist das?«, fragt Pamela ärgerlich.
    »Einen Augenblick.« Sirhans Blickfeld spaltet sich in
ein leicht verschwommenes Kaleidoskop auf, das ihm einen
Überblick über die Museumshalle gibt. Gleichzeitig schickt
er Agenten aus, die jede der allgegenwärtigen Kameras
überprüfen sollen. Er runzelt die Stirn. Etwas bewegt sich
auf dem Balkon, zwischen der Mercury-Kapsel und einer Ausstellung von
uralten Random-Dot Stereoisogrammen. »O je. Irgendetwas scheint
im Museum herumzugeistern.«
    »Herumzugeistern? Was meinst du damit?« Ein
nicht-menschliches Kreischen dringt durch die Luft über dem
Tisch, gefolgt von einem Krachen, das von oben kommt. Pamela steht
unsicher auf und wischt sich die Lippen mit einer Serviette ab.
»Ist es harmlos?«
    »Nein, es ist nicht harmlos.« Sirhan schäumt vor
Wut. »Es stört mich beim Essen!« Er blickt nach oben.
Über dem Balkon blitzt orangefarbenes Fell auf; gleich darauf
beginnt die Mercury-Kapsel dort, wo die Spannkabel angebracht sind,
heftig zu wackeln. Ein undefinierbares, mit dunkelbraunen Haaren
überzogenes Gummibündel mit zwei Armen torkelt unter dem
Handlauf hervor, klammert sich einfach so an das unbezahlbare
historische Relikt, klettert hinein und kauert sich auf die Attrappe,
die Al Shepherds vom Alter zerschlissenen Raumanzug trägt.
»Es ist ein Affe! Hör zu, Stadt! Was macht ein frei
herumlaufender Affe bei meiner Abendgesellschaft?«
    »Tut mir wirklich sehr Leid, Sir, aber ich weiß es
nicht. Würden Sie gern erfahren, woher der fragliche Affe kommt
und wer er ist, Sir?«, erwidert die Stadt, die sich jetzt aus
Gründen der Diskretion nur noch als körperlose Stimme
bemerkbar macht. Dass Belustigung darin mitschwingt, findet Sirhan
keineswegs komisch. »Was willst du damit sagen? Siehst du ihn
denn nicht?«, fragt er barsch und richtet den Blick auf den
plötzlich hereingeschneiten Primaten. Inzwischen hat er sich in
der von der Decke baumelnden Mercury-Kapsel verschanzt, schmatzt mit
den Lippen, verdreht die Augen und befingert, leise vor sich hin
keckernd, die Dichtung rund um die offene Luke. Danach beugt er sich
heraus, lässt sich

Weitere Kostenlose Bücher