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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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vorgenommene Verkleidung. Sowohl die Schnecke als auch das
schwammähnliche Ökosystem sind seit Millionen von Jahren
ausgestorben und existieren nur noch als billige
Bühnenrequisiten einer interstellaren Medizin-Show, die
bösartige Finanzinstrumente aufgezogen haben. Die Schnecke ist
eines von verschiedenen mit Bewusstsein ausgestatteten
Scheingebilden. Vermutlich verbirgt sich dahinter ein Pyramidenschema
oder sogar ein ganzer komprimierter Wertpapiermarkt in schwerer
Rezession, dessen Obligationen nur noch Schrottwert haben. Indem sich
ein solches Gebilde als lebende Art tarnt, versucht es
wahrscheinlich, sich vor seinen Kreditgebern zu verstecken. Aber die
Schnecke wird Probleme haben, sich in Sirhans Habitat zu
reinkarnieren: Das Ökosystem, für das sie geschaffen ist,
entspricht den Bedingungen auf dem Planeten Venus. Dieses
Ökosystem ist dem Druck von dreißig Atmosphären
gesättigten Dampfes ausgesetzt und schmort unter einem Himmel
von der Farbe erhitzten Bleis, der von gelben Wolken voller
Schwefelsäure durchzogen ist. Der Boden dort ist nicht deshalb
nachgiebig, weil er feucht ist, sondern weil er schmilzt.
    »Du wirst dir einen anderen Körpertyp suchen
müssen«, erklärt Amber und rollt ihr Interface, das
einer riesigen Seifenblase ähnelt, mühsam um das rot
glühende Korallenriff herum. Das vor der feindseligen Umgebung
schützende Interface ist transparent und unendlich dünn,
eine Besonderheit im zugrunde liegenden physikalischen Modell dieses
Simulationsraums. Es erfasst und vermittelt die Signale, die zwischen
der menschenfreundlichen Umgebung und der zermürbenden,
glühend heißen Hölle ausgetauscht werden.
»Dieser Körpertyp ist einfach nicht kompatibel, er
verträgt sich mit keiner der vorhandenen Umgebungen, in die wir
eintreten werden.«
    »Verstehe nicht. Kann mich am Bestimmungsort doch sicher in
die verfügbaren Welten integrieren?«
    »Äh… Außerhalb des Cyberspace funktioniert
das nicht so wie hier.« Plötzlich hat Amber Mühe, die
richtigen Worte zu finden. »Natürlich könnten wir
dieses physikalische Modell aufrechterhalten, aber es würde
einen kaum tragbaren Aufwand an Energie bedeuten, und du
könntest nicht mehr so leicht mit anderen physikalischen
Modellen interagieren wie jetzt.« Sie spaltet eine
Verkörperung von sich ab und zeigt einen Moment lang eine andere
Amber: Diese Amber befindet sich in einem Gefriertank, der mit lautem
Zischen und Klappern durch die Umgebung rollt, in der die Schnecke
heimisch ist, und dabei Korallen zermalmt. »So wäre deine
Lage.«
    »Dann ist eure Realität schlecht konstruiert«,
bemerkt die Schnecke.
    »Sie ist überhaupt nicht konstruiert, sondern hat sich
einfach so entwickelt, rein zufällig.« Amber zuckt die
Achseln. Ȇber den zugrunde liegenden, genau definierten
Kontext haben wir nicht so weitgehende Kontrolle wie über diesen
Simulationsraum. Ich kann dir nicht einfach ein Interface
herbeizaubern, das dir ermöglicht, in dreihundert Grad
heißem Dampf zu baden.«
    »Warum nicht?!« Die Wetware der Übersetzung
verleiht der Frage einen so hässlichen, scharfen Unterton, dass
sie wie eine Beschwerde klingt.
    »Das würde die Verletzung von Prioritäten
implizieren«, versucht Amber zu erklären. »Die
Realität, in die wir demnächst eintreten werden, hat sich,
äh, als konsistent erwiesen. Das muss sie auch sein, konsistent
und stabil. Würden wir neue lokale Domains schaffen, die nach
anderen Regeln funktionieren, könnte es passieren, dass sie sich
unkontrolliert weiter verbreiten. Das ist keine gute Idee, glaube
mir. Willst du nun mit uns kommen oder nicht?«
    »Ich habe ja keine Alternative«, erwidert die Schnecke
leicht schmollend. »Habt ihr denn irgendeinen Körper, den
ich nehmen kann?«
    »Ich glaube…« Plötzlich hält Amber mitten
im Satz inne und schnippt mit den Fingern. »He, Katze!«
    »He, Mensch!« Die Luft kräuselt sich, und das
Grinsen einer Cheshire-Katze gewinnt in der Domänenwand zwischen
den beiden eingebetteten Realitäten langsam Gestalt.
    »Wow!« Amber tritt einen Schritt von der Erscheinung
zurück. »Unser Freund hier hat ein Problem, nämlich
keinen passenden Körper, den er herunterladen könnte. Wir
Marionetten aus Fleisch und Blut sind allzu sehr an unsere neuronale
Ultrastruktur gebunden, aber du verfügst über eine ganze
Scheißladung programmierbarer Netzverbindungsrechner, die Daten
zwischen zwei normalerweise inkompatiblen Netzwerksystemen
übertragen können. Dürfen wir welche

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