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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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»Wenigstens dieses eine Mal werden Sie,
verdammt noch mal, als menschliches Wesen auftreten. Merde!«
    Die Kamera verwandelt sich in eine sehr verärgerte blonde
Frau, die einen Safari-Anzug trägt und mehr Filme, Objektive,
Kamerataschen und Mikrophone mit sich herumschleppt als ein ganzes
Filmteam von CNN bei Außenaufnahmen. »Fick dich doch
selbst ins Knie!«
    »Ich mag es nicht, wenn man mir nachspioniert«, sagt
Amber scharf. »Schon gar nicht bei dieser Zusammenkunft, zu der
Sie niemand eingeladen hat, nicht wahr?«
    »Ich bin die Archivarin.« Donna wendet den Blick ab und
weigert sich hartnäckig, irgendetwas zuzugeben. »Sie haben
doch selbst gesagt, ich solle…«
    »Ja, nun denn.« Amber ist verlegen. Allerdings
ist es keine gute Idee, die Königin vor versammelter Mannschaft
in Verlegenheit zu bringen. »Sie haben ja sicher gehört,
worüber wir diskutiert haben. Was wissen Sie über
die geistige Verfassung meiner Mutter?«
    »Überhaupt nichts«, kommt es wie aus der Pistole
geschossen. Donna ist deutlich anzumerken, dass sie schmollt und
nicht vorhat, mehr als das Nötigste zur Klärung der Lage
beizutragen. »Bin ihr ja nur ein einziges Mal begegnet. Wenn Sie
sich aufregen, sehen Sie übrigens genau wie Ihre Mutter aus,
wissen Sie das?«
    »Ich…« Amber verschlägt es tatsächlich
einmal die Sprache.
    »Ich mach für dich einen Termin beim Gesichtschirurgen
aus«, bietet die Katze ihr an. Und sotto voce: »Nur
so bist du auf der sicheren Seite.«
    Wenn man Amber unterstellt, ihrer Mutter irgendwie ähnlich zu
sein – und sei es noch so leicht und beiläufig dahingesagt
–, reicht das normalerweise aus, um ein »Erdbeben«
auszulösen. Ein Beben, das die Realität innerhalb der
heraufgeladenen Umgebung, die gemeinhin als die Brücke der Field Circus bezeichnet wird, gründlich erschüttert.
Dass sie ihrer Katze die unverschämte Bemerkung durchgehen
lässt, zeigt, wie sehr die Klageschrift sie belastet.
    »Worum geht’s bei dieser Klage überhaupt?«,
fragt Donna so neugierig wie immer und doppelt so nervend wie
üblich. »Hab noch gar nichts davon mitbekommen.«
    »Um eine schreckliche Sache«, erwidert Amber
nachdrücklich.
    »Wirklich übel«, bestätigt Pierre.
    »Faszinierend, aber ein Irrtum«, sinniert Sadeq.
    »Und trotzdem schrecklich.«
    »Ja, aber was ist Gegenstand der Klage?«, fragt Donna,
das überall präsente Auge, die Archivarin und verhinderte
Kamera.
    »Sie fordern eine gütliche Einigung.« Amber holt
tief Luft. »Verdammt noch mal, Sie können’s ebenso gut
überall verbreiten, es lässt sich ja sowieso nicht mehr
lange geheim halten.« Sie seufzt. »Offenbar hat meine
andere Hälfte, das heißt meine ursprüngliche
Inkarnation, nach unserem Aufbruch geheiratet. Und zwar den hier
anwesenden Sadeq.« Sie deutet mit dem Kinn auf den Theologen aus
dem Iran, der genauso verwirrt wirkt wie sie damals, als sie diesen
Teil der Geschichte zum ersten Mal hörte. »Und sie haben
ein Kind gezeugt. Bald darauf machte das Ring-Imperium bankrott. Und
jetzt verlangt dieses Kind die Zahlung von Alimenten von mir –
rückwirkend für fast zwanzig Jahre. Auf der Grundlage, dass
die Untoten gemeinschaftlich und mehrfach haftbar für Schulden
sind, die einzelne Inkarnationen von ihnen gemacht haben. In
juristischer Hinsicht ist es ein Präzedenzfall, der die Leute
davon abhalten soll, als Ausweg aus dem Bankrott Selbstmord auf Zeit
zu begehen. Was noch schlimmer ist: Das Pfandrecht auf mein
Vermögen wird rückdatiert und tritt jetzt nach subjektiver
Zeit eines bestimmten Punktes im Ring-Imperium rund neunzehn Monate
nach unserem Aufbruch in Kraft. Wir haben unseren Flug in
relativistischer Zeit hinter uns gebracht. Während man meine
andere Hälfte jetzt nicht mehr belangen könnte, hätte
sie überlebt, ist der Zahlungsbefehl für mich nach wie vor
rechtsverbindlich. Hinzu kommt, dass bei uns zu Hause für solche
Fälle eine Zinsregelung gilt; sie soll Menschen davon abhalten,
das Zwillingsparadoxon dazu zu nutzen, der vollen Haftbarkeit zu
entgehen. Da ich in der dort geltenden Echtzeit – von Aufbruch
bis Rückkehr gerechnet – rund achtundzwanzig Jahre
unterwegs war, sind die Schulden, von denen ich nichts wusste, in
schwindelnde Höhen gestiegen.
    Theoretisch schulde ich diesem Mann, diesem Sohn, dem ich noch nie
begegnet bin, ein Vielfaches vom Wert der Field Circus. Und
meine Konten sind leer geräumt. Ich habe nicht einmal mehr das
Geld, um uns in Körper aus Fleisch und Blut

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