Accelerando
gehen
beunruhigende Gerüchte darüber um, dass der missratene
Nachwuchs derzeit an der Struktur der Raumzeit herumpfuscht, weil
er die Beckenstein- Grenze – das Maximum an
codierbaren Informationen – sprengen will. Und wenn sie jetzt im
Versuchsstadium sind, dann sind die anderen da draußen, die
Zivilisationen rund ums Supercluster, bestimmt schon weit
darüber hinaus und kennen sich aus. Was vor sich geht,
können wir am besten dadurch herausfinden, dass wir mit den
Verantwortlichen Kontakt aufnehmen, wer immer das sein mag.
Können wir uns wenigstens darauf einigen?«
»Wahrscheinlich nicht.« Ihre Augen funkeln belustigt.
»Es hängt ja alles davon ab, ob man überhaupt an die
Existenz solcher Zivilisationen glaubt. Ich weiß, dass
deine Leute auf tiefenscharfe Bilder aus dem All verweisen, die
irgendein dubioses Hubble-Bubble-Spiegelteleskop vor ewigen Zeiten,
nämlich Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, aufgenommen hat. Aber
Beweise haben wir nicht, nur Theorien über den Casimir-Effekt,
die schwache wechselseitige Anziehungskraft zwischen zwei Objekten im
Vakuum, die zur Veränderung von Vakuumenergie führt, und
den Spin und die Supraflüssigkeit bei Helium-3, die
Rückschlüsse auf die Entwicklung des Universums zulassen.
Und noch viel weniger haben wir Beweise dafür, dass eine ganze
Gruppe fremdartiger galaktischer Zivilisationen darauf aus ist, das
falsche Vakuum kollabieren zu lassen und das Universum zu
zerstören! Zumindest nicht genügend Beweise«,
fügt sie mit leiserer Stimme hinzu, »um den Großteil
der Menschen zu überzeugen, mein lieber Manny. Ich weiß,
das wird dich schockieren, aber nicht jeder hier ist ein
fortschrittsgeiler Posthumaner – ein Bodysurfer, dessen
Vorstellung von einer erholsamen Auszeit darin besteht, zwanzig Jahre
in den Körpern einer eng vernetzten Seemöwenschar zu
verbringen, um nach Möglichkeit die Turing-These zu
Entscheidungsprozessen zu beweisen…«
»Wie sich ja auch nicht jeder mit weiten Zeiträumen der
Zukunft befasst«, fährt Manfred dazwischen, »obwohl
das so wichtig ist! Es geht nicht darum, ob wir selbst überleben
oder sterben, das ist viel zu kleinkariert gedacht. Die große
Frage ist, ob die Informationen, die in unserem Lichtkegel erzeugt
werden, bewahrt werden oder ob wir in einem schwindenden, zum
Untergang verurteilten Medium festsitzen, in dem unsere Existenz an
sich überhaupt nicht zählt. Es ist direkt peinlich, einer Spezies anzugehören, der es so grundsätzlich an
Neugier auf die eigene Zukunft fehlt, zumal diese Zukunft uns alle ja
auch persönlich betrifft! Ich meine, falls wir einer Zeit
entgegengehen, in der nichts und niemand mehr an uns erinnert, was
hat es dann…«
»Manfred?«
Er stockt mitten im Satz und starrt mit offenem Mund auf
diejenige, die ihm die Sprache verschlagen hat: Amber, die im
schwarzen Cat Suit und mit einem Cocktailglas in der Hand in
beherrschter Körperhaltung vor ihm steht. Ihr Gesichtsausdruck
ist ebenso offen wie verwirrt, und sie wirkt schrecklich verletzlich.
Die blaue Flüssigkeit im Glas schwappt hin und her, fast
über den Rand, der es gerade noch schafft, sich auszudehnen, um
die Spritzer aufzufangen. Hinter Amber steht Annette, deren
Lächeln höchste Selbstzufriedenheit verrät.
»Du.« Amber verstummt, ihre Wangen zucken: Teile ihres
Verstandes senden und empfangen Bits und zapfen externe
Informationsquellen an. »Also bist du
tatsächlich…«
Als ihre Finger sich vom Glas lösen und es fallen
lassen, ist sofort ein Wölkchen zur Stelle und nimmt unterhalb
der Hand feste Formen an.
»Äh…« Manfred sieht sie nur an, ihm fehlen die
Worte. »Ich hätte, äh…« Kurz darauf senkt er
den Blick. »Tut mir Leid, ich besorge dir ein neues
Getränk…«
»Warum hat mich niemand gewarnt?«, fragt Amber
vorwurfsvoll.
»Wir dachten, du könntest guten Rat brauchen«, sagt
Annette in die peinliche Stille hinein. »Und eine
Familienzusammenkunft. Wir wollten dich damit
überraschen.«
»Überraschen.« Amber wirkt verblüfft.
»Das kann man wohl sagen.«
»Du bist größer, als ich dachte«,
erklärt Manfred unvermittelt. »Menschen sehen anders aus,
wenn man sie mit nicht-menschlichen Augen betrachtet.«
»Ach ja?« Als sie ihn ansieht, neigt er leicht den Kopf
und erwidert den Blick. Es ist ein historischer Augenblick, den
Annette aus jeder Perspektive auf ihrem Diamantspeicher aufzeichnet.
Das schmutzige kleine Familiengeheimnis besteht darin, dass Amber und
ihr Vater sich noch nie
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