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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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die
Galaxie geschwirrt, aber ihre Haltung verrät
Lebensmüdigkeit und Alter. Die Geschichte ist das Ausland, aus
dem die Alten nicht freiwillig emigriert sind. Und jetzt sind diese
Alten aufgrund des ständigen Herumreisens erschöpft.
    »Deine Mutter, sie ’at eine riesige Aufgabe
übernommen, aber es ist eine überaus wichtige. Auch du
’ast das vor Jahren so gesehen, als es um dein abgespeichertes
Archiv ging. Sie versucht die Sache jetzt in Gang zu bringen.
Darum geht es bei der Wahlkampagne. Die Wähler sollen sich der
Frage stellen, wie man eine ganze Zivilisation am besten verlagern
kann. Und des’alb frage ich dich: Warum wirfst du ihr
Knüppel zwischen die Beine?«
    Sirhan mahlt mit den Kiefern und würde am liebsten
ausspucken. »Warum?«, gibt er scharf
zurück.
    »Ja. Warum?« Annette gibt nach und zaubert aus der
wirbelnden Nebelbank unterhalb der Zimmerdecke einen Stuhl hervor,
auf dem sie sich zusammenkauert. Sie sieht ihn an. »Das ist eine
Frage.«
    »Ich habe nichts gegen ihre politischen Intrigen«,
erwidert er mit angespannter Stimme. »Aber dass sie sich auch
noch ungebeten in mein Privatleben einmischt…«
    »Einmischt? Was meinst du damit?«
    Er starrt vor sich hin. »Ist das eine Frage?« Er
schweigt einen Augenblick. »Mir gestern Abend diese Nutte auf
den Hals zu hetzen…«
    Annette mustert ihn. »Wen? Was redest du da?«
    »Ich rede von dieser… diesem lockeren Weibsbild!«
Er kann nur noch stottern. »Wirklich arglistig! Falls das eine
von Vaters Ideen ist, um mich zu verkuppeln, ist das dermaßen
daneben, dass…«
    Annette schüttelt den Kopf. »Bist du verrückt
geworden? Deine Mutter wollte nur, dass du ihr Wahlkampf-Team kennen
lernst, damit du bei der Ausarbeitung der Strategie mitmachen kannst.
Dein Vater befindet sich doch gar nicht auf diesem Planeten! Aber du
bist davongestürmt. Du ’ast Rita wirklich schwer getroffen,
ist dir das klar? Rita – sie ist meine beste Mitarbeiterin, wenn
es um die Bewahrung unserer politischen Glaubwürdigkeit und die
Konstruktion einer vertrauensbildenden Geschichte geht! Und du
’ast sie so klein gemacht, dass sie geweint ’at. Was ist
nur mit dir los?«
    »Ich…« Sirhan schluckt. »Sie ist was?«, hakt er mit trockenem Mund nach. »Ich
dachte…« Er will nicht aussprechen, was er gedacht hat.
Dieses Flittchen, diese schamlose Schlampe gehört zum
Wahlkampf-Team seiner Mutter? Es war gar keine Intrige, um ihn ins
Verderben zu locken? Was, wenn das alles nur ein schreckliches
Missverständnis war?
    »Ich glaube, du musst dich bei jemandem entschuldigen«,
bemerkt Annette kühl und steht auf. In Sirhans Kopf dreht sich
alles: Er ist hin und her gerissen, folgt Dutzenden von
Gesprächen echter Akteure und ihrer abgespalteten Agenten, denn
vor seinem entsetzten inneren Auge spult noch einmal die komplette
Aufzeichnung der Party ab. Selbst die Wände seines Büros
flackern plötzlich, eine Reaktion darauf, dass ihm so
schrecklich unwohl bei dieser Sache ist. Annette durchbohrt ihn mit
einem Blick, der Abscheu verrät. »Sobald du es schaffst,
dich einer Frau gegenüber so zu ver’alten, dass du in ihr
keine Bedrohung, sondern einen Menschen siehst, können wir
weiterreden. Bis dann.« Sie steht auf, geht aus dem Zimmer und
überlässt es ihm, fassungslos über das nachzudenken,
was von seinem Zorn übrig geblieben ist. Er ist so
bestürzt, dass er sich kaum noch auf sein Projekt konzentrieren
kann. Bin ich wirklich so?, denkt er. Bin ich in ihren
Augen ein solcher Mensch? Langsam dreht sich die weit verzweigte
dreidimensionale Grafik vor ihm. Ihre nackten Äste breiten sich
weit aus: Sie warten darauf, dass er sie mit den Knotenpunkten des
von Aliens geschaffenen interstellaren Netzwerks
vervollständigt. Doch ehe das geschieht, muss er Aineko erst
einmal dazu überreden, ihm den Preis für diesen ersten
Vorstoß ins tiefe Dunkel zu nennen.
     

     
    Es ist noch nicht lange her, dass Manfred eine ganze Taubenschar
verkörperte, und das ist keineswegs metaphorisch gemeint. Sein
Exocortex war damals auf die Gehirne zahlreicher Vögel verteilt,
die kunterbunte Fakten aufpickten und halbverdaute Schlussfolgerungen
absonderten. Wieder ein Mensch zu sein, kommt ihm unbeschreiblich
seltsam vor, auch wenn er sich derzeit noch nicht mit den
zusätzlichen Verwirrungen herumschlagen muss, die ein
wiedererwachter Sexualtrieb auslöst. Diesen Trieb hat Manfred
bis zu dem Zeitpunkt deaktiviert, an dem er sich wieder an die
Existenz in einem einzigen

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