Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
Vom Netzwerk:
Planeten Pluto wie ein
tropisches Paradies erscheinen lassen –, haben sie das ganze
verdammte System okkupiert.
    New Japan ist eines der neueren von Menschen geschaffenen
Gemeinwesen in diesem System; es besteht aus mehreren
Knotenpunkten, die sich in den von Menschen gestalteten
Räumen der Siedlungszylinder in physischer Gestalt
zusammenballen. Seine Schöpfer kannten das alte Nippon
offenbar nur aus Aufzeichnungen jener Zeit, bevor die Erde
demontiert wurde, und haben sich bei der Gestaltung von New Japan
auf Material gestützt, das sie nostalgischen Videos,
Miyazaki-Filmen und animierten Kulturfilmen entnommen haben.
Dennoch haben hier viele Menschen ein Zuhause gefunden – auch
wenn sie ihren historischen Vorläufern ungefähr so
ähnlich sind wie New Japan seinem längst verschwundenen
Namensvetter.
    Menschen?
    Ihre Großeltern würden die meisten von ihnen noch
als solche erkennen. Denn diejenigen, die das
Vorstellungsvermögen von Überlebenden aus dem
zwanzigsten Jahrhundert tatsächlich überfordern
würde, sind zu Hause geblieben, in den rötlich
glühenden Wolken aus Nanocomputern. Diese Wolken haben die
Planeten ersetzt, die einst die Erdsonne in prächtiger
kopernikanischer Harmonie umkreisten. Die schnell denkenden
Matroschka-Gehirne sind für deren posthumane, aber immer noch
irgendwie menschliche Vorfahren genauso unbegreiflich wie
Interkontinentalraketen für Amöben – und
ähnlich unbewohnbar. Das All ist mit abgestorbenen
Matroschka-Gehirnen übersät, die schon vor langer Zeit
ausgebrannt sind. Der Informationscrash hat ganze Zivilisationen
abstürzen lassen: diejenigen, die ihren Heimatsternen in
naher Umlaufbahn treu geblieben sind.
    Weiter entfernt hämmern Intelligenzen in der
Größe von Galaxien mit unbegreiflichen Rhythmen gegen
die Dunkelheit des Vakuums an. Auf diese Weise versuchen sie, das
Planck’sche Substrat auf ihre Wünsche abzustimmen. Die
Posthumanen und die wenigen anderen halbtranszendenten Arten, die
das Router-Netzwerk entdeckt haben, leben, sorgfältig
verborgen, in der Dunkelheit zwischen diesen Inseln der Brillanz.
Offenbar hat es auch Vorteile, nicht allzu intelligent zu
sein.
    Die Menschen. Monadische Intelligenzen, größtenteils
in ihren eigenen Schädeln gefangen, die in kleinen
Familienverbänden innerhalb größerer
Stammesgemeinschaften leben und sowohl einen bodenständigen
Lebensstil als auch den von Umherziehenden annehmen können.
Jedenfalls standen ihnen vor der großen Beschleunigung beide
Möglichkeiten offen.
    In der Gegenwart, in der dumpfe Materie denken kann, jedes
Kilogramm Tapete möglicherweise hunderte von heraufgeladenen
Vorfahren beherbergt, jede Tür potenziell ein Wurmloch
darstellt, durch das man zu einem ein halbes Parsec entfernten
Habitat gelangen kann, brauchen die Menschen sich nicht von der
Stelle zu rühren. Stattdessen zieht die Landschaft an ihnen
vorbei und wandelt sich, während sie selbst genüsslich
in den leeren Raum ihrer persönlichen Geschichte eintauchen
können. Das Leben hier ist voller Vielfalt, unendlich
abwechslungsreich – und manchmal verwirrend. Deshalb gibt es
immer noch Stammesgemeinschaften, für deren Zusammenhalt
über Teraklicks und Gigasekunden hinweg exotisch anmutende
Kräfte sorgen. Und manchmal kann es auch passieren, dass
diese Kräfte eine Zeit lang verschwinden, um später
erneut in der Unendlichkeit aufzutauchen, so unerwartet wie ein
aus dem Hut gezaubertes Kaninchen.
     

     
    Als die Zustandsvektoren der Vorläufer aller verwandten
Wesenheiten archiviert und zum erneuten Aufruf mit einem Index
versehen sind, nimmt die Ahnenverehrung eine völlig neue
Bedeutung an. Genau in dem Moment, als sich die winzigen
Kapillargefäße in Ritas Gesicht aufgrund eines
Adrenalinstoßes zusammenziehen, sie daraufhin blass wird und
ihre Pupillen sich erweitern – all das geschieht, als sie ihre
Aufmerksamkeit auf die Katze richtet –, kniet Sirhan vor einem
kleinen Schrein, zündet ein Räucherstäbchen an und
bereitet sich darauf vor, respektvoll den Geist seines
Großvaters anzurufen.
    Genau genommen ist das Ritual unnötig. Sirhan kann, wenn er
will, überall und zu jeder Zeit mit dem Geist seines
Großvaters sprechen, ohne jede Förmlichkeit, und der Geist
wird ihm weitschweifig antworten, Witze in toten Sprachen
reißen und sich nach Menschen erkundigen, die bereits vor
Errichtung des Tempels der Geschichte gestorben sind. Aber Sirhan
liebt

Weitere Kostenlose Bücher