Accelerando
Hinterlauf. »Und du bist Manni,
stimmt’s?«
»Aineko«, wiederholt Manni unsicher. »Kennst du Lis
oder Bill?«
Das Katzendingsda namens Aineko unterbricht das Reinigungsritual
und mustert Manni mit schräg gelegtem Kopf. Manni ist zu jung
und zu unerfahren, um zu wissen, dass Ainekos Proportionen denen
einer Hauskatze entsprechen, einer Felis catus, die sich im
Unterschied zu den Spielzeugen, Palimpsesten und Gefährten, an
die er gewöhnt ist, im Lauf der natürlichen Evolution
herausgebildet hat. Die Generation seiner Eltern mag die
Realität noch hochgehalten haben, aber alles hat seine Grenzen.
Orange-braune Streifen und Wirbel zieren Ainekos Fell, und unter dem
Kinn hat sie ein weißes, flauschiges Lätzchen. »Wer
sind Lis und Bill?«
»Die da«, erwidert Manni, während sich der
große Bill mit dem mürrischen Gesicht an Aineko
heranschleicht und sie am Schwanz zu packen versucht und hinter ihm
Lis, aufgeregt summend, wie ein winziges UFO herumschwirrt. Aber
Aineko ist zu schnell für die Kids und fährt wie ein
haariges Geschoss um Mannis Füße herum. Manni
stößt einen Schlachtruf aus und versucht die Miezekatze
mit seinem Speer zu durchbohren, doch sein Speer verwandelt sich in
blaues Glas und zersplittert, sodass es glänzenden Schnee
regnet, an dem er sich die Finger verbrennt.
»Also das war ja nicht gerade nett, oder?«, sagt
Aineko mit drohendem Unterton. »Hat dir deine Mutter denn nicht
beigebracht, dass man nicht…«
Die Seitentür der Sushi-Bude geht auf: Außer Atem und
wütend taucht Rita auf. »Manni! Was hab ich dir über
die Spielregeln gesagt…«
Als sie Aineko sieht, hält sie inne. »Du.« Mit kaum verhüllter Angst weicht sie zurück. Im
Unterschied zu Manni erkennt sie in Aineko den Avatar eines
posthumanen Demiurgen, einen Körper, der nur deshalb Gestalt
angenommen hat, damit sich Menschen bei einer persönlichen
Interaktion mit ihm auf einen bestimmten Punkt konzentrieren
können.
Die Katze erwidert die Bemerkung mit einem Grinsen. »Ja, ich.
Bist du bereit, mit mir zu reden?«
Rita wirkt äußerst bestürzt. »Es gibt nichts
zu reden.«
Aineko peitscht mit dem Schwanz. »O doch.« Sie dreht
sich um und wirft einen viel sagenden Blick auf Manni. »Hab ich
Recht?«
Es ist schon lange her, dass Aineko hier vorbeigekommen
ist. In der Zwischenzeit hat sich die Raumregion rings um Hyundai +4904 / -56 so verändert, dass sie nicht
wieder zu erkennen ist. Als die riesigen, von Hummern gebauten
Sternenschiffe seinerzeit die Oort-Wolke des Sonnensystems
verließen, die grob kompilierten Daten des unbesiedelten
Systems im Umkreis des Braunen Zwergs archivierten und ihre
Emissionen mit den Samen programmierbarer Materie anreicherten,
gab es hier nichts als eine zufällige Ansammlung lebloser
Atome (und einen von Aliens geschaffenen Router). Doch das ist
schon lange her. Seitdem haben die Eingriffe von Menschen das
System rund um den Braunen Zwerg gründlich verwandelt.
Eine nicht-optimierte Verkörperung des homo sapiens kann die Kohärenz des Zustandsvektors nur zwei oder drei
Gigasekunden aufrechterhalten, dann sterben Organe und Gewebe ab.
Doch es hat nur rund zehn Gigasekunden gedauert, bis die Eingriffe
von Menschen das System rund um den toten Braunen Zwerg von oben
nach unten gekehrt haben. Die Menschen haben die kalten Planeten
entkernt und demontiert, um eine Umgebung zu schaffen, in der ihr
eigenes, auf Kohlenstoff basierendes Leben blühen und
gedeihen kann. Sie haben die Monde umgestaltet und massive
Konstruktionen in der Größe von Asteroiden geschaffen.
Haben die Ein- und Ausgänge von Wurmlöchern von den
Routern gelöst und sie in ihr eigenes primitives Netzwerk
integriert, das einzelne Punkte direkt miteinander verbindet.
Haben gelernt, neue Wurmlöcher zu schaffen und ihre in
Datenpakete aufgeteilten Gemeinwesen durchzuschleusen. Inzwischen
versorgt der Verkehr via Wurmloch die Menschen mit einem
interstellaren Handelsnetz, das sich ständig ausdehnt.
Allerdings vollzieht sich dieser Handel ausschließlich in
der Dunkelheit, die die seltsamen, metallarmen Zwerge mit ihrer
auffällig geringen Entropie von den strahlend hellen Sternen
trennt. Schon bei dem Gedanken an die Tollkühnheit dieses
Projekts kann einem schwindlig werden. Ungeachtet der Tatsache,
dass konservierte Primaten schlicht nicht dafür geschaffen
sind, im interstellaren Vakuum zu leben – schon gar nicht in
der Umlaufbahn eines Braunen Zwergs, dessen
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