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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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anachronistischen Menschheit.
    Sirhan und Rita haben sich in diesem reizvollen,
menschenfreundlichen Hinterland niedergelassen, um eine Familie zu
gründen, sich dem Studium fremdartiger Archäologie zu
widmen und dem Aufruhr und den Turbulenzen zu entgehen, die
Sirhans Familiengeschichte über die letzten Generationen
hinweg geprägt haben. Größtenteils ist ihr Leben
angenehm verlaufen. Und wenn das Einkommen einer akademischen
Kleinfamilie auch nicht überragend ist, so reicht es an
diesem Ort und in dieser Epoche doch dazu aus, an den
lebensnotwendigen Dingen der Zivilisation teilzuhaben. Sirhan (und
Rita) gefällt es so, wie es ist. Schließlich hat das
aufregende Leben ihrer unternehmungsfreudigen Vorfahren nur zu
Abenteuern geführt und letztendlich Kummer und Angst
gezeitigt. Abenteuer sind Katastrophen, die nur andere treffen, pflegt Sirhan gern zu sagen.
    Aber jetzt…
    … ist Aineko zurückgekehrt. Aineko, die durch ihr
Verhandlungsgeschick die Gründung des ersten
Flüchtlingshabitats in der Umlaufbahn von Hyundai +4904 / -56 ermöglicht hat. Und danach
mit Manfreds anderer Verkörperung ins Netzwerk des Routers
abgetaucht ist. Auch Teilkopien von Sirhan und Rita sind dabei:
Sie haben sich abgespalten, weil sie eher auf Abenteuer als auf
gemütliche Häuslichkeit aus sind. Es ist Gigasekunden
her, dass Sirhan einen Teufelspakt mit Aineko geschlossen hat. Und
jetzt hat er tödliche Angst davor, dass Aineko seinen Teil
der Abmachung einfordert.
     

     
    Manfred durchquert einen Spiegelsaal und gelangt am anderen Ende
in einen öffentlich zugänglichen Raum, der wie ein
Menger-Schwamm geformt ist. Der Kubus ist in ständig kleiner
werdende Würfel zerschnitten, bis die Summe der Oberflächen
gegen unendlich strebt. Da dies Meatspace, körperlich greifbarer
Raum oder eine angemessene Simulation davon ist, handelt es sich
nicht um einen echten Menger-Schwamm. Aber von weitem sieht
das Ding, das mindestens vier Ebenen umfasst, sehr dekorativ aus.
    Hinter einer knapp brusthohen Schranke aus Diamantglas bleibt
Manfred stehen, blickt in die fast tesseraktförmigen Tiefen des
Würfelinneren hinab und erkennt eine grüne Gartenlandschaft
mit bezaubernden Fußgängerbrücken. Die Brücken
führen über Wasserläufe, die den Anforderungen des
Feng Shui genau entsprechen, wie ihre Anlage verrät. Er mustert
den oberen Teil der pseudofraktalen Konstruktion: In einige der
Würfel, die sich ständig verkleinern, sind Fenster
eingelassen, die zu Wohnungen oder Gemeinschaftsgebäuden
gehören und Aussicht auf den öffentlichen Platz bieten.
Hoch oben, in den Luftströmen der Klimaanlage, kreisen
Geschöpfe, die mit ihren Flügeln und den exotischen Farben
an Schmetterlinge erinnern. Von hier unten aus ist es schwer zu
beurteilen, aber der durchlässige Würfel in der Mitte sieht
so aus, als hätte er eine Seitenlänge von mindestens
fünfhundert Metern. Gut möglich, dass diese Geschöpfe
Posthumane mit Flügeln sind, die ihnen die Fortbewegung in
Bereichen mit geringer Schwerkraft ermöglichen – Engel.
Engel – oder Spitzel?, fragt er sich und seufzt. Die Hälfte
seiner Extensionen ist deaktiviert. Diese äußeren Agenten
sind so hoffnungslos veraltet, dass die Assembler-Systeme des Tempels
sich gar nicht erst die Mühe gemacht haben, sie zu replizieren
oder auch nur Umweltbedingungen zu simulieren, in denen sie
funktionieren. Und der Rest… Nun ja, zumindest ist er in
körperlicher Hinsicht noch als Mensch zu erkennen. Voll
funktionstüchtig und ganz und gar männlich. Nicht alles
hat sich verändert – nur das, was zählt. Das ist
ein ebenso unheimlicher wie komischer Gedanke. Hier steht er, so
nackt wie am Tag seiner Geburt (in Wirklichkeit aber neu erschaffen
und vom Reset-Zyklus des Tempels der Geschichte in den Wachzustand
versetzt), und befindet sich an der Schwelle einer ungeheuer reichen
und mächtigen posthumanen Zivilisation. So reich und
mächtig, dass sie in den eiskalten Tiefen des Alls
säugetierfreundliche Habitate erbauen kann, die Kunstwerken
ähneln. Und doch ist er arm, genau wie das gesamte
Gemeinwesen. Und das wird sich auch niemals ändern, denn dieses
Gemeinwesen ist nichts anderes als ein Müll- und Abladeplatz
für posthumane Versager – anachronistische
Randerscheinungen, die in und nach der Singularität das
Äquivalent zum Australopithecus darstellen. In der
schönen neuen Welt des missratenen Nachwuchses können sie genauso wenig vorankommen, wie es

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