Accelerando
Im Schlafzimmer ist die Schwerkraft
niedrig, im Fitnessraum hoch, und alles andere liegt irgendwo
dazwischen. Die Einrichtung ist schlicht: Tatami-Matten und
programmierbare Wände aus Materie, die kurzfristig jedes
gewünschte Möbelstück produzieren kann. Die Wände
sind so konfiguriert, dass sie sich wie Papier anfühlen und auch
so aussehen, obwohl sie selbst kindliche Tobsuchtsanfälle
dämpfen. Doch im Augenblick funktioniert die Schalldämpfung
nicht, sodass er eine Wohnung vorfindet, die kreischende, außer
Rand und Band geratene Affen und ein huschender Schatten aus
rötlich weißem Pelz in Beschlag genommen haben. Mittendrin
eine entnervte Rita, die ihrer Nachbarin Eloise zu erklären
versucht, warum ihre Orthotochter Sam wie ein verrückter Ball
durch die Wohnung hopst.
»… Dass sie so aufgedreht sind, liegt an der
Katze.« Sie wringt die Hände und will sich gerade umdrehen,
als ihr Blick auf Sirhan fällt. »Endlich!«
»Ich hab mich wirklich beeilt.« Höflich nickt er
Eloise zu, aber gleich darauf verfinstert sich sein Gesicht.
»Die Kinder…« Etwas Kleines, Schnelles rennt
blindlings zu ihm, umklammert seine Beine und versucht ihm mit dem
Kopf in den Schritt zu stupsen. »Uff!« Er bückt sich,
um Manni auf den Arm zu nehmen. »He, Sohn, hab ich dir nicht
gesagt, dass…«
»Ist nicht seine Schuld«, fährt Rita hastig
dazwischen. »Er ist aufgedreht, weil…«
»Ich halte es wirklich nicht für…« Eloise ist
drauf und dran, ihrem Ärger Luft zu machen, und sieht sich
unsicher um.
»Miau?«, fragt eine Stimme an Sirhans
Fußknöcheln, als wolle sie eine Unterhaltung beginnen.
»Uäh!« Sirhan fährt zurück und fuchtelt
mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten, denn er schleppt immer
noch ein aufgeregtes Kleinkind mit sich herum. Der Gedankenraum des
Gemeinwesens ist heftig gestört – so als hätte sich in
der stellaren Masse ein Schwarzes Loch aufgetan –, und die
Ursache scheint ihren Pelz gerade an seinem linken Bein zu reiben.
»Was tust du denn hier?«, fragt er.
»Oh, dies und das«, erwidert die Katze in der
Innensprache, die sie ironisch dehnt. »Fand es an der Zeit, euch
wieder mal zu besuchen. Wo ist euer Haushaltsassembler? Macht es dir
was aus, wenn ich ihn benutze? Gibt da eine kleine Sache, die ich
für einen Freund erledigen muss…«
»Was?«, fragt Rita sofort voller Argwohn. »Hast du
nicht schon genügend Chaos angerichtet?« Sirhan wirft ihr
einen beifälligen Blick zu. Offenbar hat sie sich das, was Amber
vor langer Zeit warnend über die Katze gesagt hat, gut gemerkt,
denn sie behandelt sie keineswegs wie den kinderfreundlichen
Wonneproppen, den Aineko nach außen hin gern darstellen
würde.
»Chaos?« Die Katze sieht sardonisch zu ihr auf und
lässt den Schwanz von einer Seite zur anderen peitschen.
»Ich verspreche dir, keine Probleme zu machen. Es geht nur
um…«
Die Türglocke räuspert sich, um eine Besucherin zu
melden: »Meine Herrschaften, Ren Fuller möchte Sie gern
besuchen.«
»Was macht die denn hier?«, fragt Rita gereizt.
Sirhan spürt, dass sie sich unbehaglich fühlt, und nimmt
das sachte Vortasten ihrer Agenten wahr, während Rita nach einem
Fünkchen Vernunft in dieser irrationalen Welt sucht,
mögliche Folgen simuliert, Albträume durchlebt und an den
Ausgangspunkt zurückkehrt, um ihre Reaktionen den Gegebenheiten
anzupassen. »Lass sie auf jeden Fall herein.« Ren
zählt zu ihren engsten Nachbarn (zwar liegt der
größte Teil ihrer Wohnung mehrere Lichtjahre entfernt,
aber gemessen an der Reisezeit ist es ein Katzensprung dorthin). Sie
und ihre Großfamilie ziehen eine kleine Schar von Rabauken auf,
die gelegentlich mit Manni umherstreifen.
Ein kleiner blauer Esel schreit kläglich I-Ah und rast an den
Erwachsenen vorbei, verfolgt von zwei Kindern, die Speere schwenken
und schrille Schreie ausstoßen. Eloise will sich ihr eigenes
Kind schnappen, aber das klappt nicht, denn in eben diesem Moment
verschwindet die Tür zum Fitnessraum und Mannis kleine Freundin
Lis schießt wie eine winzige ferngelenkte Rakete herein.
»Sam, komm sofort her…«, ruft Eloise und macht sich
auf den Weg zur Tür.
»Hör mal, was willst du überhaupt?«, fragt
Sirhan, während er seinen Sohn umarmt und zur Katze
hinunterblickt.
»Oh, nicht viel.« Aineko dreht sich um und leckt sich an
der Flanke, um das verwuschelte Fell zu glätten. »Ich will
nur spielen, mit ihm.«
»Du willst…« Rita führt den Satz nicht zu
Ende.
»Daddy!« Manni will
Weitere Kostenlose Bücher