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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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hinwegzubauen.« Die Katze hat
aufgehört, den losen Hornsplitter an der Kralle zu bearbeiten.
Sie grinst so breit, dass ihre spitzen Zähne in dem Licht, das
durch das Fenster von Sirhans Arbeitszimmer dringt, regelrecht
funkeln. Das Fenster bietet Aussicht auf den Innenraum des
Habitatzylinders, auf einen Himmel, der von Hügeln, Seen und
Wäldern überzogen ist. Das Ganze wirkt wie eine perfekt
modellierte Escher-Landschaft. »Dir ist klar geworden, dass ich
mich vom Äußeren eurer Box nicht täuschen oder
behindern lasse, während ihr selbst da drinnen herumfuhrwerkt.
Und ich bin euch immer eine Nasenlänge voraus. Was
weißt du sonst noch über mein Wissen?«
    Sirhan erschauert. Ohne jemals zu blinzeln, starrt Aineko zu ihm
herauf. Einen Moment lang hat er vom Bauch her das Gefühl, sich
in Gesellschaft einer fremdartigen Gottheit zu befinden. Das ist die
schlichte Wahrheit, oder? Aber… »Okay, in diesem Punkt gebe
ich mich geschlagen«, sagt er nach einem Augenblick, den er dazu
genutzt hat, einen Wirbelsturm panischer kognitiver Agenten zu
erzeugen und loszuschicken. Es sind Teilpersönlichkeiten, alle
mit der Untersuchung einer anderen Facette desselben Problems
beauftragt. »Du bist schlauer als ich. Ich bin nur ein
langweiliges, auf die übliche Weise künstlich
verstärktes menschliches Wesen, aber du verfügst über
eine blitzgescheite neue Theory of Mind. Und die erlaubt es
dir, Geschöpfe wie mich so zu erfassen, wie ich selbst eine
echte Katze erfassen kann.« Abwehrend verschränkt er die
Arme. »Normalerweise reibst du einem das nicht unter die Nase.
Das liegt nicht in deinem Interesse, oder? Du versteckst deine
manipulativen Fähigkeiten lieber unter einem gefälligen
Äußeren, um mit uns zu spielen. Also enthüllst du das
alles aus einem bestimmten Grund.« In seiner Stimme schwingt
inzwischen Bitterkeit mit. Während er sich umblickt, bestellt er
einen Sessel – und aus einem nachträglichen Einfall heraus
auch ein Katzenkörbchen. »Nimm Platz. Warum jetzt, Aineko? Wie kommst du auf die Idee, du könntest mir meinen
Eigensohn nehmen?«
    »Ich habe nicht gesagt, dass ich ihn mitnehmen will,
sondern dass ich wegen ihm hier bin.« Ainekos Schwanz peitscht
erregt von einer Seite zur anderen. »Mit der Politik von
Primaten hab ich nichts zu schaffen, Sirhan, so ein Affentheater
mache ich nicht mit. Allerdings wusste ich, dass du böse
reagieren würdest, denn in einer solchen Situation kommt die
besondere Art der menschlichen Sozialisation zum Tragen.« Ein
Dutzend Metaagenten feiern in Sirhans Kopf Wiedervereinigung und
ertränken Ainekos Stimme in einer inneren Kakophonie.
»Deshalb erschien es mir ratsam, das Display, das bei dir
subjektiv empfundene Bedrohungen territorialer/reproduktiver Art
anzeigt, schon frühzeitig zu aktivieren. Wollte nicht riskieren,
dass es mir in einer heikleren Situation ins Gesicht
explodiert.«
    Sirhan schwenkt die Hand vage in Richtung der Katze. »Bitte
warte kurz.« Er versucht, seine künstlichen Erinnerungen zu
integrieren – den Output der Agenten, die ihre Überlegungen
abgeschlossen haben –, und kneift misstrauisch die Augen
zusammen. »Muss wirklich schlimm stehen. Normalerweise
vermeidest du Konfrontationen. Das Drehbuch für deine
Interaktionen mit Menschen schreibst du stets schon vorher, damit du
sie in das hineinmanövrieren kannst, was sie gemäß
deinen Wünschen tun sollen. Und dabei noch denken, es sei von
vornherein ihre eigene Idee gewesen.« Er spannt sich an.
»Was ist mit Manni, warum bist du wegen ihm hier? Was willst du
von ihm? Er ist doch nur ein Kind.«
    »Du verwechselst Manni mit Manny.« Aineko
übermittelt ihm die Glyphe eines Lächelns. »Das ist
dein größter Irrtum. Zwar sind sie Klons, aber ihre
subjektiven Zustände unterscheiden sich voneinander. Denk an die
Person, die er sein wird, wenn er erwachsen ist.«
    »Aber er ist noch nicht erwachsen! Er ist…«
    »… schon seit Jahren nicht reifer geworden. Das ist das
Problem, Sirhan. Ich muss wirklich mit deinem Großvater reden,
nicht mit deinem Sohn oder dem gottverdammten Gespenst ohne
Zustandsvektor im Tempel der Geschichte. Ich brauche einen Manfred,
der ein Gefühl für Kontinuität hat. Er besitzt etwas,
das ich benötige, und ich kann dir versprechen, dass ich nicht
verschwinde, bis ich es bekommen habe. Verstehst du?«
    »Ja.« Sirhan fragt sich, ob seine Stimme so hohl klingt,
wie sich seine Brust anfühlt. »Aber er ist unser Kind,
Aineko. Wir sind menschliche

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