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Accelerando

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Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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ihrerseits Spiel-Avatare künstlich
herangezüchteter erwachsener Agenten sind, was bedeutet, dass
ihre Originale weder erwachsen oder weiblich noch unbedingt
menschlicher Natur sein müssen). Deshalb hängt Manni in der
Erwartung, dass sich bald etwas tut, schlaff in seinem
Arne-Jacobsen-Liegesessel herum.
    Als die Tür in seinem Rücken aufgeht, lässt er in
keiner Weise erkennen, dass er die Störung bemerkt hat.
Allerdings weiten sich seine Pupillen leicht, als er in der
Fensterscheibe undeutlich das Spiegelbild einer Frau erkennt, die auf
ihn zu stolziert. »Ihr kommt spät«, sagt er lautlos.
»Ihr hättet schon vor zehn Minuten hier sein
sollen…« Gleich darauf schaut er sich um und reißt
die Augen auf.
    »Wen hast du denn erwartet?«, fragt die Weißblonde
zickig. Sie trägt formelle schwarze Kleidung, der Rock reicht
bis zum Boden. Ihr Gesichtsausdruck wirkt irgendwie beutegierig.
»Nein, sag’s mir nicht. Du bist also Manni, wie? Ein
Teilagent von Manni?« Sie rümpft missbilligend die Nase. »Fin de siècle- Dekadenz. Sirhan würde das
bestimmt nicht gutheißen.«
    »Mein Vater kann sich selbst ins Knie ficken«, erwidert
Manni aufsässig. »Wer, zum Teufel, bist du?«
    Als die Blondine mit den Fingern schnippt, taucht auf dem Teppich
zwischen Manni und dem Fenster ein Bürosessel auf. Sie nimmt auf
dem Rand Platz und streicht fast zwanghaft ihren Rock glatt.
»Ich bin Pamela«, sagt sie mit angespannter Stimme.
»Hat dein Vater dir von mir erzählt?«
    Mannis Miene spiegelt Verwirrung. In seinem Hinterkopf zerren rohe
Instinkte, die jedem fremd sein müssen, der vor Mitte des
einundzwanzigsten Jahrhunderts Gestalt angenommen hat, am Stoff der
Pseudorealität. »Du bist tot, stimmt’s?«, fragt
er. »Zählst zu meinen Vorfahren.«
    »Genauso tot wie du.« Sie schenkt ihm ein frostiges
Lächeln. »Heutzutage ist doch niemand mehr für alle
Zeit tot, am wenigsten die Leute, die Aineko kennen.«
    Manni zwinkert, inzwischen spürt er den Anflug leichten
Ärgers. »Ist ja alles schön und gut, aber ich habe Besuch erwartet«, erklärt er nachdrücklich.
»Kein Familientreffen. Und schon gar nicht, dass du versuchst,
mir deine ermüdenden puritanischen Ansichten zu
predigen…«
    »Suhl dich nur in deinem Schweinestall, Junge, ist mir doch
egal. Mir liegen wichtigere Dinge auf der Seele. Hast du in letzter
Zeit mal nach deinem Original gesehen?«
    »Nach meinem Original?« Manni spannt sich an. »Dem
geht’s gut.« Einen Augenblick lang konzentriert sich sein
Blick auf das Unendliche; mit weit geöffneten Augen lädt er
die jüngsten Gehirntransmissionen seines kindlichen Selbst
herunter und verleibt sie sich ein. »Was ist das für eine
Katze, mit der er da spielt? Die zählt doch nicht zu seinen
üblichen Gefährten!«
    »Aineko. Ich hab’s dir doch gesagt.« Ungeduldig
trommelt Pamela auf der Armlehne ihres Sessels herum. »Der
Familienfluch will sich auf eine weitere Generation entladen. Und
falls du nichts dagegen unternimmst…«
    »Wogegen?« Manni setzt sich auf. »Wovon redest du
überhaupt?« Er rappelt sich hoch und dreht sich zu ihr um.
Der Himmel jenseits des Fensters verdüstert sich so, als wolle
er Mannis böse Vorahnungen widerspiegeln. Pamela ist schon vor
ihm aufgesprungen, ihr Sessel aufgrund eines plötzlichen
Einschnitts in die Kontinuität der Zeit im Nichts verschwunden.
Ihr kalter Blick, der ganze Gesichtsausdruck ist eine einzige
Herausforderung.
    »Ich glaube, du weißt genau, wovon ich rede,
Manni. Höchste Zeit, mit diesem verdammten Spielchen
aufzuhören. Werd erwachsen, solange du noch Gelegenheit dazu
hast!«
    »Ich bin…« Er gerät ins Stocken. »Wer bin ich?«, fragt er, während der eiskalte Wind der
Ungewissheit seinen plötzlich schweißnassen Rücken
trocknet. »Und was tust du hier?«
    »Möchtest du die Antwort wirklich hören? Denk
daran, dass ich tot bin. Die Toten wissen alles. Und das ist nicht
zwingend gut für die Lebenden…«
    Er holt tief Luft. »Bin ich auch tot?« Auf seinem
Gesicht zeichnet sich Verwirrung ab. »Im Kubus des Siebten
Himmels (* Im Original heißt es »in Seventh Cube
Heaven«. Wortspiel: Seventh Heaven heißt ein
Hersteller von Katzenspielzeug und -möbeln, der u. a. auf
Würfelelemente (cubes) für Katzen spezialisiert ist.
Anspielung darauf, dass Aineko wieder mal die Finger im Spiel hat; Anm. d. Ü.) gibt es eine erwachsene Verkörperung von
mir. Was tut dieser Manni denn hier?«
    »Das ist einer dieser Zufälle, die keine sind.«

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