Accelerando
bedenkliche Tatsache gegenüber, dass derzeit Tag für Tag
eine der gefährdeten Spezies ausstirbt.
Interpol fahndet nach einer Gruppe militanter Gegner der
Gen-Manipulation. Die Gruppe hat sich dazu bekannt, Zyan-Glykoside
in den Stoffwechsel von Maissamen eingeschleust zu haben, die
für den menschlichen Verzehr bestimmt sind. Bislang sind noch
keine Todesfälle aufgetreten, allerdings wird es das
Vertrauen der Konsumenten auf eine harte Probe stellen, wenn sie
ihre Frühstücksflocken auf Zyanide testen
müssen.
Nahezu die einzigen Wesen, die sich gegenwärtig wirklich
wohl fühlen, sind die heraufgeladenen Hummer – und diese
Krustentiere haben mit Menschen nicht einmal entfernte
Ähnlichkeit.
Manfred und Annette essen auf dem Oberdeck des Speisewagens zu
Abend und unterhalten sich, während der TGV durch einen Tunnel
unterhalb des Englischen Kanals rast. Annette, so kommt jetzt heraus,
ist täglich zwischen Paris und England hin und her gependelt.
Paris wollte Manfred sowieso als eines der nächsten Reiseziele
ansteuern. Von der Ausstellung aus hat er Aineko kontaktiert und
damit beauftragt, sein Gepäck reisefertig zu machen und ihn auf
dem Bahnhof St. Pancras zu treffen, der wie die stählerne
Hülle einer riesigen Bohrassel wirkt. Annette hat ihren
Mini-Satelliten über Nacht in dem Supermarkt gelassen. Als
Ausstellungsstück, das nicht mit Treibstoff gefüllt ist,
stellt er kein Sicherheitsrisiko dar.
Der Speisewagen wird von einer nepalesischen Fast-Food-Kette
betrieben. »Manchmal möchte ich einfach im Zug sitzen
bleiben«, sagt Annette, während sie auf ihr mismas bhat wartet. »Und gar nicht in Paris aussteigen. Stellen Sie sich
das doch nur vor: Sie lehnen sich in Ihre couchette zurück, wachen in Moskau auf, steigen dort um und fahren in
zwei Tagen die ganze Strecke bis nach Wladiwostok.«
»Falls die einen über die Grenze lassen«, grummelt
Manfred. Russland ist eines dieser Länder, die immer noch
Pässe verlangen und einen fragen, ob man sich jemals als
Anti-Antikommunist betätigt hat oder es jetzt noch ist. Nach wie
vor ist Russland in der eigenen blutigen Geschichte befangen. (Spul das Video zu Stolypins Krawattenparty zurück und starte
es neu…) Außerdem hat Russland Feinde: die Oligarchien
Weißrusslands, die in der Branche, in der mit geistigem
Eigentum gehandelt wird, organisierte Erpressung betreiben. Diese
Psychoten sind Relikte der letzten Dekade, in der mit marxistischem
Objektivismus herumexperimentiert wurde. »Arbeiten Sie wirklich
für die CIA?«, fragt Manfred.
Annette verzieht die beunruhigend roten Lippen zu einem Grinsen.
»Gelegentlich schicke ich denen Berichte. Nichts, was mich den
Job kosten könnte.«
Manfred nickt. »Meine Frau hat Zugang zu allem, was dort
eingeht, auch zu den ungefilterten Informationen.«
»Ihre…« Annette stockt. »War das Ihre Frau,
die ich… im De Wildemanns kennen gelernt habe? – Oh,
Sie armer Trottel«, setzt sie hinterher, als sie seinen
Gesichtsausdruck bemerkt, und prostet ihm zu. »Es ’at…
es ist also nicht gut gelaufen?«
Manfred seufzt und prostet seinerseits Annette zu. »Dass es
nicht gut um die Ehe steht, wird einem spätestens dann klar,
wenn man seiner Frau Nachrichten via CIA schicken muss und sie
mittels der Steuerfahndung Verbindung mit einem hält.«
Annette zuckt zusammen. »Und das schon nach fünf
Jahren.
Verzeihen Sie mir, wenn ich das sage, aber sie wirkte gar nicht
wie Ihr Typ.« In dieser Feststellung ist eine Frage verborgen.
Erneut fällt ihm auf, wie geschickt sie es beherrscht, ihre
Bemerkungen mit Subtexten zu spicken.
»Ich bin mir nicht sicher, wie mein Typ aussieht«, sagt
er, und das ist die halbe Wahrheit. Er wird das Gefühl nicht
los, dass zwischen ihm und Pamela etwas falsch gelaufen ist, das
keiner von beiden zu verantworten hat. So, als hätte sich
heimlich und leise jemand in ihre Beziehung eingemischt, um sie beide
auseinander zu bringen. Vielleicht hat es auch an mir gelegen, denkt er. Manchmal ist er nicht sicher, ob er überhaupt noch
ein Mensch ist; allzu viele Stränge seines Bewusstseins scheinen
außerhalb seines Kopfes ein Eigenleben zu führen, um sich
zurückzumelden, wenn sie etwas Interessantes entdeckt haben.
Manchmal fühlt er sich wie eine Marionette, und das macht ihm
Angst, weil es eines der frühen Warnzeichen von Schizophrenie
ist. Und wir sind ja noch nicht so weit, dass irgendjemand da
draußen Exocortices anzapfen kann… Oder doch?
Momentan
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