Accelerando
in
Tansania – rafft seine Kutte und zischt ab. »Viel
Spaß beim Warten!«
Manfred zieht sein Backup-Handy heraus und starrt auf das Display:
»Irgendwas ist hier faul.« Die Tastatur piepst leise, als
er mühsam verschiedene Befehle eingibt, die ihn mit dem obskuren
alten X.25-PAD verbinden. Inzwischen ist er nervös. Vage
erinnert er sich daran, was er auf Grundlage dieser Verbindung
unternehmen kann: in erster Linie ins innere NHS-Netz vordringen,
doch das ist längst stillgelegt. Doch es tritt ein Seitenfehler
auf, die Erinnerungen springen aufgrund des page fault zur
falschen Stelle und setzen irgendwo auf dem Weg zwischen
heraufdämmernder Erkenntnis und Fingerspitzen aus. Es ist ein
frustrierendes Gefühl: Sein Gehirn ähnelt einem uralten
Automotor mit feuchten Zündkerzen, der sich wieder und wieder
dreht, ohne anzuspringen.
Der Kebab-Automat neben Manfreds Sitzreihe schiebt einen
Fleischbrocken auf den Grill. Gleich darauf entwickelt sich
bläulicher, aromatischer, würzig riechender Rauch: Die
Cannabinoide sollen sowohl beruhigen als auch den Appetit anregen.
Nachdem Manfred kurz daran geschnüffelt hat, rappelt er sich
hoch und macht sich auf die Suche nach der Toilette, während
sich in seinem Kopf alles dreht. »Hallo Guatemala?«, murmelt er in seine Armbanduhr. »Hol mir jemanden ran,
der sich mit der Dosierung von Drogen und Medikamenten auskennt.
Klick dich durch meinen Mem-Spei-chèr, ich bin durcheinander.
O Scheiße. Wer war ich doch gleich wieder? Was ist passiert?
Warum liegt alles im Nebel? Ich kann meine Brille nicht
finden…«
Eine schnatternde Schar von Tagesbesuchern verlässt die
Lepra-Abteilung, Männer und Frauen in altmodischer Tracht. Die
Männer tragen dunkle Anzüge, die Frauen lange Kleider. Alle
sind mit stahlblauen Wegwerfhandschuhen und Gesichtsmasken
ausgestattet. Als ein Summen und Knistern verschlüsselter
Datenübertragung von ihnen herüberdringt, dreht sich
Manfred instinktiv um und geht ihnen nach. Durch den Ausgang für
Rollstuhlfahrer verlässt der Trupp den Trakt, in dem Ambulanz
und Notaufnahme untergebracht sind: zwei Damen, die von drei Herren
begleitet werden, und ein verstörter, bedrückter
Flüchtling aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert, der benommen
hinterherschlurft. Sie sind alle noch jung, geht Manfred
beiläufig durch den Kopf. Wo ist meine Katze? Vielleicht
könnte Aineko Licht ins Dunkel bringen, falls sie genügend
Interesse dafür aufbringt.
»Ich finde, wir sollten uns ins Clubhaus
zurückziehen«, sagt einer der jungen Kavaliere. »O ja,
bitte!«, zwitschert seine kleine blonde Begleiterin, klatscht in
die Hände und streift genervt die anachronistischen
Plastikhandschuhe ab. Darunter kommen Halbhandschuhe zum Vorschein,
die mit Ortungssensoren versehen sind. »Dieser Ausflug hat
nichts gebracht, so viel ist mal klar. Falls unsere Kontaktperson
wirklich hier ist, können wir sie nur orten, wenn jemand die
ärztliche Schweigepflicht bricht oder sich durch ein dickes
Trinkgeld bestechen lässt.«
»Die armen Schweine«, murmelt die andere Frau und wirft
einen Blick hinter sich, zur Lepra-Station. »Auf so
demütigende Art zu sterben.«
»Ist deren eigene Schuld. Hätten sie keine Antibiotika
missbraucht, wären sie jetzt auch nicht in
Quarantäne«, schnaubt ein Mittzwanziger mit Koteletten, der
sich wie ein frühreifer pater familias aufführt. Um
seinen Worten Nachdruck zu verleihen, klopft er mit dem Spazierstock
aufs Straßenpflaster. Ehe sie die Straße nach The Meadows
überqueren, bleiben alle stehen, um eine Gruppe von Radfahrern
und eine Rikscha vorbeizulassen. »Wenn man so wahllos
Medikamente schluckt, versagt das Immunsystem.«
Auch Manfred ist stehen geblieben, um die Wiese zu betrachten. Als
er über die fraktale Dimension von Grashalmen nachdenkt,
schwirrt ihm der Kopf. Gleich darauf torkelt er hinter der Gruppe her
und wird dabei beinahe von einem Touristenbus auf Schwungrädern
überrollt. Club. Mechanisch setzt er einen Fuß vor
den anderen, kommt auf der anderen Straßenseite an und landet
auf einem Boden, der drei Milliarden Jahre der vegetativen Evolution
hinter sich hat. Irgendwas an diesen Leuten… Er
spürt eine seltsame Sehnsucht – den von einem
äußeren Stimulus ausgelösten Drang nach Information.
Das ist auch fast schon alles, was vom alten Manfred übrig
geblieben ist: der unersättliche Wissensdrang. Die große
dunkelhaarige Frau rafft die langen Röcke, damit sie nicht im
Matsch schleifen. Manfred sieht
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