Accelerando
eines gedopten Marketing-Schleimers,
der ein neues Produkt pushen will.
»Wer, zum Teufel, seid ihr?«, fragt Jack, fasziniert von
den grellen Farben und Icons.
»Dein Cartesisches Theater, wir spielen nur für
dich«, murmelt die Brille. »Der Dow Jones ist um
fünfzehn Punkte abgesackt, die Bundesanleihen sind drei Punkte
rauf. Gerade kommt ein neues Briefing herein. Bestreitet den kausalen
Zusammenhang zwischen sozialer Kontrolle von Rocklängen und
Bartmoden und dem Auftreten von Resistenzen gegen
Antibiotika-Kombinationen bei Enterobacteriaceae-Stämmen. Sollen
wir’s dir übermitteln?«
»Ich kann’s schon verkraften«, murmelt Jack, als
sich ein Sturzbach von Bildern in seine Augen ergießt und es in
seinen Ohren so dröhnt, als hätte er es mit dem Uploading
eines von seiner körperlichen Hülle befreiten Riesen zu
tun. Und genau das ist es ja eigentlich auch, was Jack gestohlen hat:
Die Datenbrille und die Gürteltasche, die er dem Touristen
abgenommen hat, enthalten so viel Hardware, dass man damit noch bei
der Jahrtausendwende das gesamte Internet hätte betreiben
können. Sie ermöglichen den Zugang zur größten
Musikdatenbank der Welt, verfügen über ein allumfassendes
Netz von Suchmaschinen und jede Menge Spitzenagenten. Als Kollektiv
konstituieren diese Agenten einen großen Teil der Society of
Mind, die mittlerweile die Persönlichkeit ihres Besitzers
bestimmt. Ihr Besitzer ist ein posthumaner genius loci des
Netzes, Vorreiter einer agalmischen Wirtschaft der open source, der zum radikalen Politiker geworden ist und sich insbesondere
für die Emanzipation von K.I.s einsetzt. In seiner Zeit als
Geschäftsmann war er ein Typ, der überall als Katalysator
neuer Vermögensbildung wirkte und, metaphorisch gesprochen, das
Geld auf Bäumen wachsen ließ, sodass andere davon
profitieren konnten. Mittlerweile ist er eine Art graue Eminenz der
Politik, ein Mann, der Koalitionen schafft, wo niemand sonst die
Grundlage für ein gemeinsames Vorgehen sehen würde.
Aber jetzt hat Jack ihm seinen Gedächtnisspeicher geklaut. In
den Brillenrahmen sind Mikrokameras eingebaut und in die Bügel
akustische Empfänger; alles Aufgezeichnete wird in den
holografischen Zwischenspeicher der Gürteltasche
übermittelt, ehe es an verschiedene Fernspeicher übertragen
wird. Bei einer Übertragungsrate von vier Monaten pro Terabyte
ist das Abspeichern eine billige Angelegenheit. Ungewöhnlich
daran ist nur, dass auch Manfreds Agenten über all diese
Informationen verfügen. Das Uploading von menschlicher
Intelligenz mag praktisch noch nicht durchführbar sein, aber
Manfred bereitet es zielstrebig vor.
In einem sehr realen Sinne macht die Datenbrille den ganzen
Manfred aus, unabhängig von der Identität dieses Apparates
aus Fleisch und Blut, dessen Augäpfel hinter den
Brillengläsern hin und her huschen. Und es ist ein sehr
verwirrter Manfred, der sich schließlich aufrappelt, den Staub
abklopft und auf den Weg zu seiner Besprechung am anderen Ende der
Stadt macht. In seinem Kopf herrscht eine seltsame Leere. Die einzige
Frage, die er seinen Agenten zögernd stellt, lautet: Mit welchem
Zubehör sind russische Armeestiefel ausgestattet?
Bei einer anderen Besprechung ist Manfreds Abwesenheit bereits
aufgefallen. »Irgendetwas stimmt da nicht«, sagt Annette,
schiebt, sichtbar beunruhigt, ihre Spiegelbrille hoch und reibt sich
das linke Auge. »Warum ruft er nicht zurück? Er weiß
doch, dass wir uns um diese Zeit mit ihm in Verbindung setzen
wollten. Findest du das nicht merkwürdig?«
Gianni nickt, lehnt sich zurück und mustert Annette vom
Schreibtisch aus. Als er die glänzende Tischplatte aus Rosenholz
mit dem Zeigefinger berührt, verändert sich deren Maserung
und zeigt ein seltsames Muster: punktartige Stereoisogramme, die wie
zufällig angeordnet wirken und nur seinen Augen etwas sagen.
»Er ist in meinem Auftrag nach Schottland gefahren«,
bemerkt er kurz darauf. »Ich weiß nicht, wo er sich
derzeit aufhält, schließlich gibt es ja so etwas wie den
Schutz der Privatsphäre. Aber wenn du, die er als nächste
Angehörige benannt hat, persönlich hinfährst, findest
du das sicher leichter heraus als ich. Er wollte von Angesicht zu
Angesicht mit dem Franklin-Kollektiv reden, als Einzelner mit der
ganzen Gruppe…«
Das italienisch-französische Übersetzungsprogramm ist
zwar gut, aber nicht so gut, dass die französischen Sätze
mit Giannis Lippenbewegungen harmonieren. Giannis Mundstellung passt
so
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