Accelerando
davon aus, dass in dieser Hinsicht bald schnelle
Fortschritte erzielt werden können, denn die
gentechnologischen Basispatente laufen demnächst aus. Die
Free Chromosome Foundation hat bereits ein Manifest
veröffentlicht, in dem sie zur Erzeugung eines patentfreien
Genoms aufruft, das in der Lage ist, verbesserte Lösungen
für alle häufig auftretenden Exon-Mängel
bereitzustellen.
Weit verbreitet sind mittlerweile Experimente, bei denen
neuronale Netzwerke digitalisiert werden und Computer menschliche
Gehirnprozesse simulieren.
Manche libertär denkende Extremisten behaupten, dass im
Zuge der technologischen Entwicklung der Tod mit seinen
drastischen Einschnitten in Eigentums- und Wahlrechte bald zum
wichtigsten Streitpunkt in der Frage von Bürgerrechten werden
wird.
Gegen eine niedrige Zusatzgebühr sind die meisten
Tierversicherungen inzwischen bereit, die Kosten für das
Klonen eines geliebten Haustiers zu erstatten, sollte es einen
tragischen Unfalltod erleiden. Aus Gründen, die niemandem
mehr richtig klar sind, ist das Klonen von Menschen in den meisten
hoch entwickelten Ländern nach wie vor verboten – und
das, obwohl es kaum ein Rechtssystem gibt, das die
Zwangsabtreibung eineiiger Zwillinge befürwortet.
Manche Güter sind mittlerweile teuer: Der Preis für
ein Barrel Rohöl beträgt inzwischen mehr als achtzig
Euro und steigt unaufhaltsam weiter an. Andere Waren dagegen sind
jetzt billig, zum Beispiel Computer. Manche Hobbytüftler
drucken sich zu Hause auf ihren Tintenstrahldruckern
verrückte neue Prozessor-Architekturen aus. Menschen
mittleren Alters wischen sich den Hintern mit diagnostischem
Klopapier ab, das ihnen verrät, wohin ihr Cholesterinspiegel
tendiert.
Allerdings ist dem technischen Fortschritt, der jetzt auf dem
Vormarsch ist, auch einiges zu Opfer gefallen: das
Bekleidungsgeschäft an der Hauptstraße, das
Spülklosett, das wichtigste Modell der Kampfpanzer und die
erste Generation von Quantencomputern. Neu in dieser Dekade sind
kostengünstige Stärkungen des Immunsystems,
Gehirnimplantate, die sich direkt mit dem Chomsky-Organ verbinden
können und mit ihren Besitzern mittels eigener Sprachzentren
kommunizieren, und eine weit verbreitete Paranoia bezüglich
Spams, die direkt ins limbische System eindringen.
Die Nanotechnologie hat sich in ein Dutzend verschiedener
Fachgebiete aufgespaltet, und Skeptiker prognostizieren, dass die
ganze Forschung und Entwicklung in naher Zukunft im Sande
verlaufen wird. Die Philosophen haben ihr Feld den Ingenieuren
überlassen, und in der K.I.-Forschung besteht das
schwierigste Problem derzeit darin, die Software dafür zu
entwickeln, dass die K.I.s so etwas wie Verlegenheit empfinden
können.
Selbstverständlich ist die Fusionsenergie noch
Zukunftsmusik: Erst in fünfzig Jahren wird sie verfügbar
sein.
Die Viktorianer morphen und verwandeln sich vor Manfreds
schockierten Augen in Cybergothics.
»Sie haben desorientiert gewirkt«, stellt Monica fest
und beugt sich neugierig über ihn. »Was ist mit Ihren
Augen?«
»Ich kann nicht besonders gut sehen«, versucht Manfred
zu erklären. Alles liegt im Nebel, und die Stimmen, die
normalerweise unablässig in seinem Kopf schwatzen, haben nichts
als dröhnende Stille hinterlassen. »Ich meine, jemand hat
mich ausgeraubt und meine…« Seine Hand greift ins Leere: An
seinem Gürtel fehlt irgendetwas.
Monica, die große Frau, die er zum ersten Mal in der Klinik
gesehen hat, tritt leibhaftig ins Zimmer. Was sie hier drinnen
trägt, ist hauteng, schillernd und stellt, wie sie behauptet,
den Fortsatz ihres neuronalen Ektoderms dar, was ihn
einigermaßen beunruhigt. Ohne den viktorianischen
Schnickschnack, der wie die Ausstattung für ein Kostümdrama
gewirkt hat, ist sie eine ganz normale junge Frau des
einundzwanzigsten Jahrhunderts – vermutlich nach dem Babyboom
der Jahrtausendwende geboren oder aus dem Brutkasten geholt. Sie
wedelt mit dem Fingern vor Manfreds Nase herum: »Wie viele sind
das?«
»Zwei.« Manfred versucht sich zu konzentrieren.
»Was…«
»Keine Gehirnerschütterung«, unterbricht sie ihn
energisch. »Entschuldigen Sie, ich muss einen Scan
vornehmen.« Ihre Augen sind braun, über ihre Pupillen
flackern bernsteinfarbene Rasterlinien. Kontaktlinsen?, fragt
sich Manfred. Er fühlt sich so, als müsste ihm gleich der
Kopf platzen, und merkt, dass er unnatürlich langsam denkt
– fast so, als wäre er betrunken, nur noch
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