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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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keiner menschlichen Sprache ausdrücken lässt.
    »Abwarten und beobachten«, erwidert sie ihrem
Reisegefährten. »Früher oder später werden sie
schon noch merken, wer wir sind.«



 
ZWEITER TEIL:
     
WENDEPUNKT
     
     
Das Leben ist ein Prozess, den man aus anderen Medien
ableiten kann.
    John von Neumann

 
der strahlenkranz
     
     
    BARNEY, DER LILAFARBENE DINOSAURIER, SPIELT DEN Asteroiden. Er
singt von Liebe im Neuland des Alls, von der Leidenschaft der Materie
für Replikatoren und von seinen freundschaftlichen Gefühlen
für die bedürftigen Milliarden am Rande des Ozeans.
»Ich liebe dich«, summt er schmachtend in Ambers Ohren,
während sie einen präzisen Ansatzpunkt sucht. »Ich
möchte dich fest umarmen…«
    Den Bruchteil einer Lichtsekunde entfernt, peilt Amber mit einer
ganzen Gruppe von Cursorn das Signal an, richtet sie so aus, dass sie
dessen Doppler-Verschiebung aufspüren, und liest die
grundlegenden orbitalen Werte ab. »Unter Dach und Fach und
geladen«, murmelt sie. Der animierte lilafarbene Dinosaurier
dreht eine Pirouette, stolziert in der Mitte ihres Displays umher,
schwenkt einen Sektquirl mit Juwelenspitze über dem Kopf und
ruft sarkastisch: »Zeit für Umarmungen! Hab den Asteroiden
erwischt!« Kaltgasdüsenantriebe krachen irgendwo in ihrem
Rücken an der provisorischen Landungsbrücke des Andockrings
los und lassen das klobige Farmschiff eine Drehung vollziehen, auf
den Asteroiden zu. Bewusst dämpft Amber ihre Begeisterung,
während ihre Implantate gierig überschüssige
Neurotransmittermoleküle in Beschlag nehmen, die rund um ihre
Synapsen schweben, bis sie wieder gebunden sind. Es empfiehlt sich
nicht, Hochstimmungen allzu sehr nachzugeben, wenn man sich im freien
Fall befindet. Aber der Drang, einen Handstand zu machen,
hochzuspringen und zu singen, ist dennoch da. Es ist ihr Asteroid, er liebt sie, und sie wird ihn zum Leben erwecken.
    Die Arbeitsfläche in Ambers Kabine ist mit jeder Menge Zeug
voll gestopft, das kaum auf ein Raumschiff gehört, zum Beispiel
mit Plakaten der gerade angesagten libanesischen Boy-Band, die
zeigen, wie die Jungs bei einem ihrer glamourösen Auftritte eine
fetzige Show abziehen. Die Gurte, mit denen ihr Schlafsack
ausgestattet ist, wedeln wie Tentakel durch die Luft und schaffen es
irgendwie, sich schmutzige Klamotten zu schnappen und
übereinander zu türmen. Sie erinnern an eine seelenlose
Riesenschlange mit vielen Köpfen. Reinigungsroboter wagen sich
nur selten in die Kabine dieses Teenagers. Auf einer Wand ist die
ständig zirkulierende Simulation der geplanten kreisrunden
Anlage des Habitats 1 zu sehen, eine große, von Fasern
durchzogene Kugel mit glühendem Kern. Auch Amber tut das ihrige,
Habitat 1 ins Leben zu rufen. An dessen Peripherie spielen drei oder
vier pastellfarbene Kawaii- Püppchen Verfolgungsjagd und
eilen mit Siebenmeilenschritten hintereinander her. Die Katze ihres
Vaters hat sich zwischen Luftschacht und Kleiderschrank
zusammengerollt und schnarcht in höchsten Tönen.
    Mit einem Ruck reißt Amber den ausgeblichenen Veloursvorhang
auf, der ihre Kabine vom Rest des Bienenstocks abtrennt. »Ich
hab’s!«, brüllt sie. »Gehört alles mir! Ich
bin die Herrscherin!« Es ist der sechzehnte Brocken, den das
Waisenhaus bislang kartiert hat, aber der Erste, den sie ganz allein
gefunden hat, deshalb hat er für sie besondere Bedeutung.
Fröhlich hüpft sie zur anderen Seite hinüber, wo der
Gemeinschaftsraum liegt, und erschreckt dabei eine von Oscars
Riesenkröten. Eigentlich müsste die Kröte auf der Farm
eingesperrt sein, wie ist sie überhaupt hier gelandet?
Währenddessen kopiert die Audiowiedergabe das eingehende Signal
– ein durch Rauschen verzerrter Widerhall tausender zu Fossilien
gewordener Kinderprogramm-Videos.
     

     
    »Du verlierst aber wirklich keine Zeit«, jammert Pierre,
als Amber ihn in der Kantine abfängt.
    »Tja, stimmt!« Als sie den Kopf herumwirft, gibt sie
sich kaum Mühe, ein triumphierendes, selbstgefälliges
Lächeln zu verbergen. Sie weiß, dass das nicht nett ist,
aber Mom ist weit weg, und Dad und ihrer Stiefmutter sind solche
Dinge sowieso egal. »Ich bin wirklich brillant«,
verkündet sie. »Also, was ist jetzt mit unserer
Wette?«
    »O je.« Pierre vergräbt die Hände tief in den
Taschen. »Ich hab im Moment keine zwei Millionen flüssig.
Im nächsten Zyklus, ja?«
    »Hä?!« Sie ist außer sich vor Wut. »Wir
haben doch gewettet!«
    »Äh, Dr. Bayes hat gesagt, du würdest es

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