Accelerando

dem nächsten Router aus. Die
K.I. in Form einer harmlosen Hauskatze verfügt über
Manfreds Zugangscodes, denn er vertraut Aineko bedingungslos. Was
nicht besonders klug ist: Schließlich hat seine Ex-Frau an ihr
herumgepfuscht, ganz zu schweigen von all den Kätzchen, die sich
Aineko in den frühen Jahren einverleibt hat.
    Die Katze schleicht sich in die Dunkelheit des Netzes hinaus und
geht dort ganz allein auf Pirschjagd…
    »Denk doch nur mal an all die Menschen, die mit diesem Wandel
nicht klarkommen«, sagt Manfred in merkwürdig beunruhigtem
Ton.
    »Das versuche ich zu vermeiden.« Die Frau erschauert.
»Du bist dreißig, natürlich wirst du jetzt langsamer.
Aber was ist mit den ganz Jungen? Werden sie mit’alten
können?«
    »Ich habe eine Tochter, die etwa hundertsechzig Millionen
Sekunden alt ist. Würde Pamela erlauben, dass ich Kontakt mit
meinem Kind aufnehme, könnte ich es herausfinden…« In
seiner Stimme schwingt ein alter Kummer mit.
    »Fahr nicht ’in, Manfred, bitte nicht.« Trotz
allem, was passiert ist, hat Manfred nie loslassen können. Durch
seine Tochter Amber ist er auf immer und ewig mit Pamelas fernem
Orbit verbunden.
    In der Ferne vernimmt die Katze die kollektive Intelligenz der
Hummer, ein Singen im leeren Raum, ein Lebenszeichen über
große Distanzen hinweg, das von der Heimstätte der Hummer,
einem Kometen, quer durchs All dringt. Unterwegs zu einer Begegnung
in der Eiseskälte jenseits des Neptun, treibt der Komet still
durch den Asteroidengürtel. Die Hummer singen von Entwurzelung
und Alterungsprozess, von einer Intelligenz, die zu langsam arbeitet
und zu schwach ist, um mit dem schrecklich schnellen Wandel
mitzuhalten, der wie ein Sandstrahlgebläse über die Welt
der Menschen hinweggefegt ist. So erbarmungslos und gründlich,
dass alles, an dem sich die Leute festgehalten haben, brüchig
geworden ist.
    Noch weiter draußen pingt die Katze einen verteilten
Netzwerk-Server unbekannten Ursprungs an, einen
Peerto-Peer-Datenspei-chèr, der sich holografisch über
eine Million Hostrechner ausbreitet, voller Geheimnisse und
Lügen, die zu unterdrücken sich niemand leisten kann;
deshalb ist er mitsamt seines leeren Geschwätzes und der Musik
– Raubkopien der jüngsten Bollywood-Hits – auch nicht
totzukriegen. All das lässt die Katze links liegen, weil sie
nach dem entscheidenden Datenpaket Ausschau hält. Sie schnappt
es sich – nur eine kurze Störung in Manfreds Brille
könnte einen der beiden Menschen darauf hinweisen –,
schleppt ihre Beute nach Hause, verleibt sie sich ein und vergleicht
sie mit dem Datenpaket, das Annettes Exocortex gerade analysiert.
    »Tut mir Leid, Liebes. Manchmal habe ich einfach das
Gefühl, dass…« Manfred seufzt. »Das Altern ist
ein Prozess, bei dem viele Türen hinter einem zuschlagen,
Chancen verspielt sind. Ich bin einfach nicht mehr jung genug, hab
den optimistischen Schwung eingebüßt.«
    Das Datenpaket, das die Katze vom Piraten-Server geholt hat, ist
nicht identisch mit dem Paket, das Annettes Implantat gerade
verarbeitet.
    »Der kommt schon wieder«, versichert sie ihm gelassen
und tätschelt seine Hüfte. »Du bist immer noch
bekümmert darüber, dass man dich ausgeraubt hat. Auch das
wird vorübergehen, du wirst schon sehen.«
    »Tja.« Schließlich entspannt er sich, fasst
instinktiv wieder Zutrauen zur eigenen Willenskraft. »Auf die
eine oder andere Weise werde ich schon darüber hinwegkommen.
Oder jemand, der sich daran erinnert, früher mal ICH gewesen zu
sein, wird es tun…«
    In der Dunkelheit fletscht Aineko lautlos die Zähne und
grinst. Der Drang, sich unaufgefordert in Dinge einzumischen, die sie
nichts angehen, ist durch die entsprechende Hardware tief in ihr
verwurzelt. Also gibt sie diesem Drang nach, schiebt Dateien hin und
her, kopiert das heruntergeladene Datenpaket der Aliens, mit dem sich
Annette gerade befasst hat. Es ist eine Kopie der zweiten Botschaft,
der Signalfolge, die das Netzwerk zur Erforschung des tiefen Raums
aus der Nachbarschaft der Erde empfangen hat. Die Signalfolge, die
die Europäische Weltraumbehörde und die anderen
großen Verbände für sich behalten haben.
    Als Aineko ein anderes sorgfältig kaschiertes Programm
aktiviert, kann sie das Datenpaket aus einer Perspektive analysieren,
die bislang noch keinem Menschen zur Verfügung steht. Auf einer
abstrakten virtuellen Maschine läuft jetzt eine ganze Serie von
Datenverarbeitungen ab. Das Resultat ist eine Frage an Aineko, die
sich in