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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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Stellvertreterin dabei geholfen, mich als Sklavin an ein
Unternehmen zu verkaufen. Die Gesellschaft gehört einem
Treuhandfonds, und ich bin die Hauptnutznießerin, sobald ich
volljährig werde. Als Leibeigene bin ich dazu verpflichtet,
alles zu tun, was die Gesellschaft von mir verlangt, und das ist
völlig legal, allerdings ist die Dachgesellschaft darauf
vorbereitet, meine Anweisungen entgegenzunehmen. Also bin ich
autonom, stimmt’s?«
    »Das klingt genau nach dem, was dein Vater in einer solchen
Situation unternehmen würde«, erwidert Monica/Bob neutral.
Da Monicas nordenglischer Akzent jetzt von dem sarkastischen,
gedehnten Silicon-Valley-Slang eines Mannes mittleren Alters
überlagert wird, klingt die Stimme seltsam mittelatlantisch.
    »Das Problem ist, dass es Sklaverei in den meisten Staaten
offiziell gar nicht gibt. Sie verkleiden solche Dinge hübsch und
nennen sie in loco parentis oder so. Und die Staaten, in denen
Sklaverei legal ist, haben zumeist nichts, was Gesellschaften mit
beschränkter Haftung entspricht. Und schon gar nicht
Unternehmen, die von einer Dachgesellschaft aus dem Ausland gesteuert
werden. Dad hat deshalb den Jemen ausgesucht, weil dort immer noch
diese idiotischen Gesetze der Scharia gelten – und die
Menschenrechte nicht hoch im Kurs stehen. Allerdings halten sie sich
im Jemen fast, wenn auch nicht ganz, an das globale
Standard-Handelsrecht und können die EU-Normen annähernd
erfüllen, denn die haben aufgrund von bestimmten Gegebenheiten
in der Türkei eine juristische Lücke.«
    »Und weiter?«
    »Na ja, ich nehme an, dass ich damit praktisch zu einer
Janitscharin geworden bin. Mom machte damals gerade eine christliche
Phase durch, also wurde ich zur christlichen, wenn auch nicht
gläubigen Sklavin eines islamischen Unternehmens. Und jetzt ist
die blöde Kuh hergegangen und zum Schiitentum konvertiert.
Normalerweise ist im Islam der Vater ausschlaggebend für die
Religionszugehörigkeit der Kinder, aber Mom hat ihre Sekte
sorgfältig ausgesucht und eine gewählt, die
fortschrittliche Ansichten hat, was die Rechte der Frauen betrifft.
Die Leute gehören einer fundamentalistisch-liberalen Richtung
von Konstruktionisten an. Sie fragen: Was würde der Prophet
unternehmen, wenn er heute lebte und sich mit Kaugummifabriken
befassen müsste, die sich selbst reproduzieren können? Dinge dieser Art. Im Allgemeinen nehmen sie einen
fortschrittlichen Standpunkt zu Fragen wie der Gleichberechtigung von
Mann und Frau ein, weil der Prophet, gemessen an den damaligen
Bedingungen, seiner Zeit weit voraus war. Also glauben sie, seinem
Beispiel folgen zu müssen.
    Jedenfalls bedeutet es, dass Mom behaupten kann, ich sei Muslimin.
Folglich werde ich nach jemenitischem Gesetz wie eine muslimische
Leibeigene der Firma behandelt. Allerdings ist deren Rechtsprechung
sehr heikel, was die Zulassung der Versklavung von Muslimen betrifft.
Nicht, dass ich selbst irgendwelche Rechte hätte, aber in
seelsorgerischer Hinsicht ist damit der örtliche Imam für
mein Wohlergehen zuständig. Und…« Sie zuckt hilflos
mit den Schultern.
    »Hat er schon versucht, dir neue Regeln aufzuzwingen?«,
fragt Monica/Bob. »Hat er deine Freiheit, Netzagenten zu nutzen,
einschränken wollen? Oder versucht, deinen Kopf einer
Gehirnwäsche zu unterziehen? Auf Dämpfung deiner Libido
oder auf einer strikten Kleiderordnung bestanden?«
    »Nein, bis jetzt noch nicht«, erwidert Amber mit
grimmiger Miene. »Aber er ist kein Dummkopf. Vielleicht benutzt
er Mom – und mich – irgendwie dazu, diese ganze Expedition
in die Finger zu bekommen. Vielleicht will er ein Exempel statuieren,
eine gütliche Einigung verlangen und dabei selbst als Schlichter
agieren, etwas in der Art. Es könnte sogar noch schlimmer
kommen: Er könnte mir befehlen, mich in jeder Hinsicht nach
seiner spezifischen Auslegung der Scharia zu richten. Die Scharia
erlaubt zwar Implantate, aber sie schreibt zwingend den
religiösen Wahrnehmungsfilter vor. Wenn ich den benutze, werde
ich am Ende noch zur Gläubigen.«
    »Okay.« Langsam vollführt Monica einen Salto
rückwärts, mitten in der Luft. »Und jetzt sag mir,
warum du dieses Ansinnen nicht einfach ablehnen kannst.«
    »Weil…«, Amber holt tief Luft. »Dafür
stehen mir zwei Wege offen. Ich kann dem Islam abschwören, was
mich zu einer Abtrünnigen macht und meinem Vertrag mit der
Dachgesellschaft automatisch ein Ende setzt, sodass Mom nach
amerikanischem oder EU-Recht wieder das Sorgerecht über

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