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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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besorgt aus, dass Amber automatisch nickt.
»Selbstverständlich. Hat meine Mutter Sie
hergeschickt?« Nach wie vor sprechen sie Englisch miteinander.
Amber fällt auf, dass seine Ausdrucksweise gewählt ist,
allerdings leicht geschraubt klingt. Er benutzt kein
Übersetzungsprogramm, sondern hat sich die Sprache
tatsächlich auf die harte Tour angeeignet, stellt sie mit
einem Anflug böser Vorahnung fest. »Sie sollten vorsichtig
sein, wenn Sie mit meiner Mutter sprechen. Zwar lügt sie nicht
direkt, aber sie bringt Menschen dazu, nach ihrer Pfeife zu
tanzen.«
    »Ja, ich habe mit ihr… Ah.« Pause. Sie sind immer
noch fast eine Lichtsekunde voneinander entfernt, also kann die
Funkstille zufällig eingetreten sein. Oder aber den Imam
beschäftigen innere Konflikte. »Verstehe. Sind Sie sicher,
dass Sie so über Ihre Mutter reden sollten?«
    Amber holt tief Luft. »Erwachsene können sich
voneinander scheiden lassen. Wenn ich mich von ihr scheiden
lassen könnte, würde ich es tun. Sie…« Hilflos
sucht sie nach dem passenden Wort. »Sie müssen verstehen,
dass sie ein Mensch ist, der keine Niederlagen ertragen kann. Wenn
sie merkt, dass sie den Kürzeren ziehen wird, überlegt sie,
wie sie juristisch gegen ihren Widersacher vorgehen kann. Wie
sie’s auch bei mir getan hat. Ist Ihnen das denn gar nicht
aufgefallen?«
    Dr. Khurasani wirkt außerordentlich skeptisch. »Ich bin
mir nicht sicher, dass ich das verstehe. Mhm, vielleicht sollte ich
Ihnen sagen, warum ich mit Ihnen sprechen wollte?«
    »Klar doch, schießen Sie los.« Seine Haltung
verblüfft Amber. Offenbar nimmt er sie wirklich ernst, er
behandelt sie wie eine Erwachsene. Diese Erfahrung ist so neu
für sie – zumal er schon über zwanzig ist –, dass
sie, ob sie will oder nicht, fast vergisst, dass er nur aufgrund von
Moms Intrigen mit ihr spricht.
    »Nun ja, ich bin Ingenieur und befasse mich außerdem
mit Figh, der islamischen Theologie und Rechtswissenschaft.
Genauer gesagt, besitze ich die Qualifikationen für das
Richteramt. Ich bin ein noch sehr unerfahrener junger Richter,
dennoch lastet eine schwere Verantwortung auf meinen Schultern.
Jedenfalls hat mir Ihre Mutter, Friede sei mit ihr, ein Gesuch
übermittelt. Wissen Sie davon?«
    »Ja.« Ambers Anspannung wächst. »Es
enthält Lügen, eine Verdrehung der Tatsachen.«
    »Hm.« Sadeq streicht sich nachdenklich über den
Bart. »Nun ja, das muss ich prüfen, nicht wahr? Ihre Mutter
hat sich dem Willen Gottes anvertraut. Das macht Sie zum Kind einer
Muslimin. Und Ihre Mutter macht geltend, dass…«
    »Sie versucht Sie als Waffe gegen mich einzusetzen«,
fährt Amber dazwischen. »Ich habe mich in die Sklaverei
verkauft, um von ihr loszukommen, verstehen Sie? Als Sklavin habe ich
mich einem Unternehmen verpflichtet, das mein Vermögen bis zu
meiner Volljährigkeit treuhänderisch verwaltet. Jetzt
versucht meine Mutter, die Regeln zu ändern, um mich
zurückzubekommen. Wissen Sie was? Ich glaube, Ihre Religion ist
meiner Mutter scheißegal. Alles, was sie will, bin
ich!«
    »Die Liebe einer Mutter…«
    »Scheiß auf die Liebe«, knurrt Amber. »Sie
will Macht.«
    Sadeqs Miene verhärtet sich. »Das sind unflätige
Worte, die da aus Ihrem Mund dringen, mein Kind. Ich versuche
lediglich zu klären, wie der Sachverhalt ist. Sie sollten sich
fragen, ob eine derartige Respektlosigkeit Ihren eigenen Interessen
dient.« Er schweigt kurz und fahrt dann, nicht ganz so schroff,
fort: »Hatten Sie wirklich eine so schlimme Kindheit bei ihr?
Glauben Sie, dass Ihre Mutter das alles nur aus Machtsucht getan hat?
Oder kann es sein, dass Ihre Mutter Sie liebt?« Pause.
»Bitte verstehen Sie, dass ich diese Dinge wissen muss, damit
ich mir ein klares Bild davon machen kann, welches Vorgehen hier das
richtige ist.«
    »Meine Mutter…« Amber hält plötzlich inne
und verliert sich in den Erinnerungen, die ihre Agenten für sie
ausgraben. Wie Kometenschweife, die ihr Gehirn ausschickt, verbreiten
sie sich im Raum jenseits ihres bewussten Denkens. Mit Hilfe mehrerer
Netz-Parser und analytischer Filter verwandeln sich die Erinnerungen
in konkrete Bilder, die Amber ins winzige Gehirn der Webcam
einspeist, damit der Imam sie sehen kann. Manche Erinnerungen sind so
quälend, dass Amber die Augen schließen muss. Mom, in
voller Kriegsbemalung auf dem Weg zum Dienst, die sich über
Amber beugt und ihr versichert, sie werde die lexikalischen Agenten
ihrer Tochter gewaltsam aus dem Verkehr ziehen, falls sie die
Grammatik

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