Accelerando
über den Islam zu
vermitteln, hat sie daran erinnert, dass diese Haltung keineswegs in
allen Kulturen verbreitet ist.
Falls sich der Imam jedoch als jung, intelligent und flexibel
entpuppt, könnte das sogar noch schlimmer sein. Als Amber acht
Jahre alt war, hat sie sich mit »Der Widerspenstigen
Zähmung« befasst. Inzwischen ist ihr klar, dass sie keine
Lust auf eine Hauptrolle in einer eigenen multikulturellen Produktion
dieses Theaterstücks hat. Sie seufzt nochmals.
»Pierre?«
»Ja?« Seine Stimme kommt vom Fuße des Schrankes
mit der Notausrüstung in ihrer Kabine. Er hat sich dort unten
zusammengerollt und bewegt träge die Glieder, denn er lenkt
gerade eine Schürfdrohne über die Oberfläche des
Objekts Barney (wie sich der Asteroid selbst getauft hat). Die
Drohne hat lange Beine und ähnelt einer Schnake. Aufgrund der
minimalen Schwerkraft setzt sie überaus langsam Zehenspitze nach
Zehenspitze auf dem Boden auf.
Selbst entlang der Längsachse misst der Asteroid lediglich
fünfhundert Meter. Er ist von einer dicken braunen Schicht
überzogen: Sie besteht aus seltsam klebrigem Kohlenwasserstoff
und Schwefelverbindungen, die die Jupiterwinde von der
Oberfläche Ios mitgebracht haben. »Komm ja schon.«
»Das tust du auch besser.« Sie blickt auf den Schirm.
»Noch eine Minute und zwanzig Sekunden bis zur nächsten
Zündung.« Der Nutzlastcontainer, der auf dem Schirm zu
sehen ist, ist samt Inhalt so gut wie geklaut. Ist nicht schlimm,
wenn sie ihn nur zurückgibt, hat Bob gesagt. Allerdings kann sie
das erst, wenn der Container Barney erreicht hat und sie auf
genügend gefrorenes Wasser gestoßen sind, um ihn
aufzutanken. »Hast du schon was gefunden?«
»Nur das Übliche. In der Nähe des kleineren Pols
gibt es einen Rand aus Eis. Ist zwar schmutzig, umfasst aber
mindestens tausend Tonnen. Übrigens ist die Oberfläche von
Teer überzogen und ganz bröckelig. Weißt du was,
Amber? Dieses orangefarbene Zeug ist massiv und besteht aus
Fullerenen.«
Amber grinst ihrem Spiegelbild auf dem Bildschirm zu. Das sind
gute Neuigkeiten. Sobald der Nutzlastcontainer, den Amber lenkt,
sicher unten gelandet ist, kann Pierre ihr dabei helfen, an Barneys
Längsachse Supraleiter zu verlegen. Die Strecke wird zwar
insgesamt nur fünfzehnhundert Meter umfassen, sodass sie
lediglich ein paar Dutzend Kilowatt Saft daraus ziehen können,
aber der Nutzlastcontainer enthält eine Verdichtungsanlage, und
die wird den Saft dazu nutzen können, mit einer
Bearbeitungskapazität von zwei Gramm pro Sekunde Barneys Kruste
in Fertigprodukte umzuwandeln. Mittels Entwürfen, die von der
Free Hardware Foundation unter Copyleft gestellt wurden, werden sie
innerhalb von zweihunderttausend Sekunden ein Raster von
vierundsechzig 3-D-Druckern erzeugen. Lediglich die verfügbare
Energie begrenzt die Verarbeitungsgeschwindigkeit und Kapazität
dieser Drucker, die strukturierte Materie ausspucken.
Am besten, sie fangen mit einem riesigen Kuppelzelt, freiem
Stickstoff und Sauerstoff an, der sich atmen lässt. Danach
sollen die Drucker ein großes Netzwerkcache schaffen und eine
Direktverbindung zur Erde, mit großer
Datenverarbeitungskapazität. Wenn all das klappt, könnte
Amber binnen einer Million Sekunden ihre ganz persönliche
Ein-Mädchen-Kolonie betreiben.
Der Bildschirm gibt ihr ein Blinkzeichen. »O Scheiße.
Verdünnisier dich, Pierre.« Der Anruf, der gerade
hereinkommt, beeinträchtigt ihre Konzentration. »Ja? Wer
sind Sie?«
Der Bildschirm füllt sich mit der Ansicht einer engen
Raumkapsel, die sehr nach zwanzigstem Jahrhundert aussieht. Der Mann
darin ist in den Zwanzigern, hat ein stark gebräuntes Gesicht,
kurz geschnittenes Haar und einen Bart. Seine Kleidung besteht aus
einem olivgrünen Ganzkörperbody, wie man ihn unter
Raumanzügen anzieht. Er schwebt zwischen einer manuellen
TORU-Andocksteuerung und einer Fotografie, die die Kasbah von Mekka
zeigt und in einem Goldrahmen steckt. »Ich wünsche Ihnen
einen guten Abend«, sagt er feierlich. »Habe ich die Ehre,
mit Amber Macx zu sprechen?«
»Äh, ja, das bin ich.« Sie starrt ihn an. Er
entspricht überhaupt nicht ihrer Vorstellung von einem Ayatollah
– was immer ein Ayatollah sein mag –, denn er ist weder
alt, noch trägt er ein schwarzes Gewand. Er wirkt auch
keineswegs wie ein rachsüchtiger Fundamentalist. »Wer sind
Sie?«
»Ich bin Dr. Sadeq Khurasani. Ich hoffe, ich störe
nicht? Könnten Sie es einrichten, sich jetzt mit mir zu
unterhalten?«
Er sieht so
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