Accelerando
meinem
Königreich. Bitte scheuen Sie sich nicht, hier alle Hilfe in
Anspruch zu nehmen, die Sie benötigen. Ich wünsche Ihnen
einen angenehmen Aufenthalt.«
Sadeq verzieht keine Miene. Die Königin ist jung – ihr
Gesicht zeigt noch Spuren von Babyspeck, und die geringe Schwerkraft
betont die Pausbacken –, doch es wäre ein schlimmer Fehler,
sie als unreif einzuschätzen. »Ich danke Ihrer
Majestät für die Güte«, murmelt er floskelhaft.
Die Wände in ihrem Rücken glänzen wie Juwelen, wirken
wie ein funkelndes Kaleidoskop. Ihr Reich ist jetzt schon das
größte Informationszentrum jenseits der Erde (oder
jenseits der erforschten Planeten), soweit es den von Menschen
besiedelten Raum betrifft. Auch ihre Krone, die eher wie ein
kompakter Helm aussieht und ihren Kopf von vorn bis hinten bedeckt,
glitzert und strahlt diffuses Licht aus, das an Regenbögen
erinnert. Doch die meisten Emissionen sind fast ultraviolett und
für das Auge kaum sichtbar, bis auf den schwach funkelnden
Strahlenkranz rund um ihren Kopf, der wie ein Heiligenschein
wirkt.
»Nehmen Sie doch Platz.« Sie deutet auf eine Art
Plumeau, das sich im freien Fall von der Zimmerdecke senkt und sich
gleich darauf aufbläht und ausdehnt. Einladend und ihr direkt
zugewandt, scheint es nur auf ihn gewartet zu haben. »Sie
müssen müde sein. Es ist anstrengend, ein Raumschiff ganz
allein zu betreiben.« Sorgenvoll runzelt sie die Stirn, als
wäre ihr gerade etwas eingefallen. »Zwei Jahre, das hat
bisher kaum jemand geschafft.«
»Ihre Majestät sind zu gütig.« Sadeq lehnt
sich in die Armstütze des Plumeaus zurück und sucht ihren
Blick. »Ich nehme an, Ihre Arbeit hat Früchte
getragen.«
Sie zuckt die Achseln. »Von allen neu besiedelten Gebieten
ist meines das mit dem größten Umsatz an
Bedarfsartikeln…« Ein Lächeln huscht über ihr
Gesicht. »Aber mit dem Wilden Westen hat das hier keine
Ähnlichkeit, nicht wahr?«
»Gerechtigkeit ist keine veräußerbare Ware«, entgegnet Sadeq steif.
»Tut mir Leid«, setzt er gleich darauf nach, »ich
wollte Sie nicht beleidigen. Nur glaube ich, dass Sie zwar behaupten,
Recht und Gesetz Geltung verschaffen zu wollen, doch in Wirklichkeit
etwas anderes propagieren – es kann gar nicht anders
sein. Eine gottlose Gerechtigkeit, die man demjenigen verkauft, der
am meisten dafür bietet, hat mit wahrer Gerechtigkeit nichts zu
tun.«
Die Königin nickt. »Mal abgesehen davon, dass Sie Gott
ins Feld führen, stimme ich Ihnen zu. Ich kann keine
Gerechtigkeit verkaufen. Aber ich kann Beteiligungen an einem
gerechten System verkaufen. Und dieses neue Grenzland ist in
Wirklichkeit viel kleiner, als irgendjemand erwartet hat,
stimmt’s? Unsere Körper mögen Monate brauchen, um von
einer Welt zur anderen zu reisen, aber unsere Dispute und
Auseinandersetzungen brauchen dazu nur Sekunden oder Minuten. Solange
jede Partei damit einverstanden ist, sich an meinen Schiedsspruch zu
halten, kann der physische Vollzug der Vereinbarung warten, bis der
unmittelbare persönliche Kontakt hergestellt ist. Und jeder
räumt ein, dass der von mir geschaffene gesetzliche Rahmen
leichter einzuhalten und besser der Raumregion jenseits des Jupiters
angepasst ist als jede Gesetzgebung der Erde.« Inzwischen hat
sich ein knallharter, provozierender Unterton in ihre Stimme
eingeschlichen, und der Heiligenschein strahlt heller. Die Wände
des Thronsaals reagieren darauf, indem sie zu funkeln beginnen.
Fünf Milliarden Input oder mehr, denkt Sadeq voller
Ehrfurcht. Die Krone ist ein Wunderwerk der Ingenieurskunst, auch
wenn der größte Teil ihrer Masse in Fußboden und
Wänden dieses riesigen architektonischen Gebildes verborgen ist.
»Es gibt das Gesetz, das uns der Prophet, Friede sei mit ihm,
offenbart hat, und das Gesetz, dem wir Geltung verschaffen
können, indem wir die Absichten des Propheten analysieren.
Darüber hinaus gibt es noch andere Formen von Gesetzen, nach
denen sich Menschen richten, und verschiedene Auslegungen des
Gesetzes Gottes, selbst unter denen, die sich mit seinen Werken
befassen. Wie können Sie, ohne sich auf das Wort des Propheten
zu stützen, einen moralischen Kompass liefern?«
»Hm.« Als sie mit den Fingern auf den Armlehnen ihres
Throns herumtrommelt, wird Sadeq sehr kalt ums Herz. Er kennt die
Geschichten über die Schürfabenteurer und die Gauner in den
weißen Westen, über die Spekulanten, die mit feindlicher
Übernahme drohen, um die Aktienpreise durch Rückkäufe
der ursprünglichen Eigner
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