Accra: Roman (German Edition)
frische Luft und eine schöne Landschaft gab, beispielsweise zum Mount Afadjato oder zu den Wli Falls, aber fürs Erste mussten die Straßen von Accra reichen. Er bog von der lärmigen Ring Road ab, ging vorbei am Fuhrpark und zum relativ ruhigen Viertel hinter dem CID. Hier, wo die Myohaung Street eine schattige Nische bildete, parkten die Polizisten gern ihre Dienstwagen, wenn sie sich irgendwo an der Hauptstraße etwas zu essen holten.
Dawson zog sein Hemd aus der Hose, stopfte seine Hände in die Hosentaschen und ging die Myohaung Street entlang. Den Namen hatte er einmal aus Neugier recherchiert und erfahren, dass er für einen Teil der ghanaischen Truppen stand, der beim Sieg über die Japaner bei Myohaung in Birma eine Rolle gespielt hatten. Über 65 000 Ghanaer hatten im Zweiten Weltkrieg bei den Alliierten gekämpft. Eines Tages würde Dawson seinem Sohn von diesem Kapitel der Landesgeschichte erzählen, das in den Schulbüchern so oft ausgespart wurde.
Und Dawson? Was wäre sein Beitrag in der Welt? Was würde von ihm bleiben, wenn er nicht mehr war? Würde sein Name in irgendeinem Geschichtsbuch oder auf einem Straßenschild erscheinen? War das überhaupt wichtig? Konflikte mit Chief Superintendent Lartey riefen häufig eine existenzielle Krise bei Dawson hervor.
Und manchmal dachte Dawson in solchen Momenten auch an seinen Mentor Daniel Armah, den Detective, der das Verschwinden von Dawsons Mutter untersucht hatte, als Dawson zwölf war. Was wäre aus ihm geworden, hätte er Detective Armah nicht kennengelernt? Armah, der heute im Ruhestand war und in Kumasi lebte, war damals noch ein Sergeant gewesen, und es waren auch weniger seine Fähigkeiten als Ermittler gewesen, die Dawson bewegten, dieselbe Laufbahn einzuschlagen. Tatsächlich hatte Armah nie herausgefunden, was mit Dawsons Mutter geschah, sodass man vielleicht behaupten konnte, Armah hätte versagt. Doch das war nebensächlich, denn was Dawson als Junge beeindruckt und geprägt hatte, war die Fürsorge gewesen, die Armah dem Jungen Darko zukommen ließ, eine Fürsorge, wie Darko sie von seinem Vater nie erfahren hatte.
Hatte Chief Supol Lartey recht, dass es für Dawson ungünstig war, mit »Leuten wie Daramani« Umgang zu pflegen? Stimmte etwas nicht mit Dawsons eingebauter moralischer Instanz? Prompt dachte er: Ich könnte ein schlechterer Mann sein! Immerhin war er ein guter Vater und Ehemann, oder nicht? Aber wenn das der Fall war, sollte er das Laster, das er so angestrengt vor seiner Familie verbarg, endgültig und für immer ablegen.
Als Dawson in die Rangoon Lane bog, fühlte er, wie sich seine Existenzkrise vorerst verflüchtigte, auch wenn er wusste, dass sie früher oder später wiederkommen würde.
Chikata und Issifu, ein anderer Detective Sergeant, trugen Handschuhe und Schutzkleidung, als sie Daramanis kleines, muffiges und unordentliches Haus durchsuchten. Chikata stürzte sich als Erstes auf die löchrige Schaumstoffmatratze auf dem Boden, während Issifu sich den Kleiderkarton vornahm. Es gab eine Kochplatte auf dem Boden, auf der ein ziemlich ramponierter Topf stand.
Chikata durchsuchte alle Kleidungsstücke, die an einem Wandhaken hingen, griff in sämtliche Hemden- und Hosentaschen. Er überprüfte die beiden Paar Tennisschuhe, die auf dem Boden standen. Nichts. Es gab eine Koffertruhe in einerEcke, die mit Bier und Tellern gefüllt war. Chikata nahm alles Stück für Stück heraus. Tatsächlich fand er eine Gabel und ein Messer, die in Zeitungspapier gewickelt waren und die er natürlich umgehend eintüten ließ. Das Messer war klobig und schwer. Die Klinge, die gut zwanzig Zentimeter lang war, reflektierte das Licht und war rasiermesserscharf. Chikata trug das Beweisstück zur Tür und prüfte es im Nachmittagslicht. Abgesehen von Wasserflecken war die Klinge sauber. Doch da war dieser Übergang zwischen Heft und Klinge, wo sich ein roter Punkt befand, den Chikata übersehen hätte, wäre er weniger sorgfältig gewesen. Der Mörder jedenfalls hatte ihn übersehen, als er das Blut von dem Messer abwusch, mit dem er Musa Zakari hinterrücks erstochen hatte.
15
Als Dawson nach Hause kam, bereitete Christine gerade das Abendessen zu. Hosiah guckte im Wohnzimmer fern. Dawsons Stimmung hellte sich schlagartig auf, als er seinen Sohn sah. Er hob ihn in die Höhe und hielt ihn einige Sekunden dort, ehe er ihn wieder hinsetzte.
»Wie geht es meinem Jungen?«
»Mir geht’s gut, Daddy.«
»Hast du Hunger?«
»Ein
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