Accra: Roman (German Edition)
wissen, von wem das Sperma in Comforts Körper ist und wessen Blut unter Ihren Fingernägeln klebt. Dann ist es Ihnen vielleicht nicht mehr egal. Und noch viel weniger, wenn Sie erst mal so lange im Gefängnis gesessen haben, dass Sie nicht mehr wissen, wie der Himmel aussieht.«
Tedamm drehte den Kopf zur Seite und spuckte auf den Boden.
Dawson ging zurück ins Büro von Chief Superintendent Lartey.
»Wir müssen so schnell wie möglich diesen Antwi finden, Sir. Ich brauche Leute.«
»Wie viele?«, fragte Lartey wie ein misstrauischer Vater.
»Mindestens sechs.«
»Was? Denken Sie, Ihr Fall ist der einzige in der Stadt? Es gibt noch andere Prioritäten.«
»Verstehe, Sir. Ich weiß zwar nicht, über welche anderen Prioritäten Sie reden, aber ...«
»Lassen Sie mich Ihnen nur ein Beispiel nennen«, fiel Lartey ihm schroff ins Wort. »Der Vizepräsident von Ghana Petroleum wurde heute Morgen in seinem Haus in der Airport-Residential-Wohnanlage ermordet. Regelrecht exekutiert. Wussten Sie davon?«
»Oh«, sagte Dawson. »Nein, das wusste ich nicht.«
»Ich habe einen toten Ölmanager mit internationalen Verbindungen, und Sie haben diese namenlosen Prostituierten und Obdachlosen. Was glauben Sie, wer das Rennen macht?«
»Mord ist Mord, Sir. Ob Prostituierte oder Ölmanager, es bleibt ein Verbrechen.«
Lartey schloss für einen ziemlich langen Moment die Augen. »Vier Constables, Dawson. Mehr kriegen Sie nicht. Und Sie müssen einen offiziellen Antrag stellen.«
31
Lokale Sklerodermie hieß die Krankheit, die Austin Ansah hatte. Sie rief eine seltsame Verformung hervor, en coup de sabre genannt, die wie ein geprägter Blitz aussah und von seinem vorderen Schädel bis zur Stirn verlief. Und es konnte, und würde wahrscheinlich auch, schlimmer werden.
Während Austin einen Aufsatz von UNICEF-Wissenschaftlern las, rieb er mit den Fingerspitzen über die unregelmäßige Vertiefung auf seiner Stirn. Eine unbewusste Angewohnheit.
»Ich schätze, du hast dich inzwischen daran gewöhnt«, hatte eine dumme Frau einmal zu ihm gesagt.
»Ein Amputierter gewöhnt sich auch an sein fehlendes Körperteil«, hatte Austin gekontert. »Trotzdem will er sein Bein wiederhaben.«
Er war achtunddreißig. Frauen fühlten sich nicht zu ihm hingezogen. Das wusste er. Vielmehr widerte sein Aussehen sie an. Sie guckten weg, wenn sie ihn sahen. Waren sie in einer Gruppe, tuschelten sie untereinander. Was hat der denn auf der Stirn? Auf Hochzeitsfeiern tanzten die unverheirateten Frauen nicht einmal mit ihm, wenn er sie aufforderte, was er längst nicht mehr tat. Er hatte ein paar Freunde, die ihn ab und zu irgendwohin einluden – aus Mitleid.
Seit drei Jahren arbeitete Austin an seiner Doktorarbeit über »Sozialstrukturen der Migrantengruppen in Accra«. Die Migrantenmädchen hatten seine Aufmerksamkeit auf dieselbe Art erregt, wie einem Ornithologen die Schönheit der von ihm beobachteten Vögel auffällt. Vor einem Jahr, als er eines Nachts am Nkrumeh Circle Feldforschung betrieb, war ein Mädchenauf ihn zugekommen und hatte sich ihm angeboten. Das hatte ihn so sehr überrascht, dass er stammelnd ablehnte. Das Mädchen war weggangen, doch er hatte ihr Aussehen und ihre Stimme nie vergessen. Es war, als hätte er ein Mittel gegen seinen Schmerz erhalten, das zwar wirkte, aber nicht ganz ausreichte. Er hatte ein kleines bisschen davon gekostet und sehnte sich nach mehr, viel mehr.
Also ging er wieder dorthin. Beim ersten Mal hatte er vor Nervosität und Angst gezittert. Er fand jenes Mädchen nicht, das sein Feuer entfacht hatte, aber das, das er sich aussuchte, war genauso jung. Fünfzehn. Hinterher empfand er nichts als Selbstekel. Er hatte sich übergeben und geschworen, es nie wieder zu tun. Doch es war wie Heroin. Er war süchtig. Wieder und wieder kehrte er zurück. Und jedes Mal reagierte er gleich: mit Ekel und Abscheu.
Austin blickte sich in seinem unordentlichen Zuhause um, einem gemieteten Zimmer in Ussher Town. Papiere und Bücher stapelten sich überall, wo Platz war. Er stand auf, lief ein paar Schritte, setzte sich wieder und kritzelte einige unzusammenhängende Notizen auf seinen gelben Block. Für einen Moment legte er den Kopf auf den Schreibtisch, schloss die Augen und biss die Zähne zusammen, um den Drang zu unterdrücken. Es war kurz nach Mitternacht. Accra war still, doch in diesen Stunden lockte ihn die Stadt am meisten. Der Trubel tagsüber schreckte ihn ab; nachts jedoch wurde die Stadt sinnlich
Weitere Kostenlose Bücher