Accra: Roman (German Edition)
sie um den Nkrumah Circle und wusste nicht, was sie tun sollte. Wie es aussah, musste sie die Nacht draußen verbringen und sich am Morgen neue Arbeit suchen. Wäre Musa noch am Leben, hätte sie zu ihm gehen können. Aber der Junge, den sie von ganzem Herzen geliebt hatte, war ermordet worden. Musa hatte einmal zu ihr gesagt: »Du darfst nie, niemals deinen Körper verkaufen.« Und sie hatte ihm versprochen, es nicht zu tun.
Aber das war damals gewesen.
Jetzt war alles anders. Sie hatte Hunger und war müde. Zu gern hätte sie in ihrem eigenen Bett geschlafen, auch wenn es nur ein gefaltetes Tuch war. Und sie war einsam. Da half auch das Gewusel der Leute um sie herum nicht. Tränen brannten in ihren Augen, doch Akosua riss sich zusammen. Sie setztesich hin und beobachtete eine Weile lang das Treiben auf dem Platz.
Am späten Abend gab es nur wenige Orte in Accra, wo noch Betrieb herrschte. Der Vienna-City-Nachtclub war so einer und sorgte dafür, dass am Nkrumah Circle bis in die frühen Morgenstunden Leute waren. Wummernde Musik drang aus dem Club zum Straßencafé, wo die Leute Cocktails tranken und das Leben auf der Straße betrachteten. Gleich südlich vom Kreisverkehr standen in der Nkrumah Avenue dicht an dicht Limousinen und SUVs, deren Fahrer auf der Suche nach Sex und Drogen waren. »Vergnügungsleute«, nannte Akosua sie. Prostituierte boten sich im Club und davor an. Auf beiden Straßenseiten reihten sich Taxis aneinander, die Leute nach Hause fuhren oder Ashawos mit ihren Freiern in das California Inn oder das Beverly Hills Hotel brachten. Dass sie Prostituierte chauffierten, ließen sie sich gut bezahlen.
Akosua stand auf. Sie ging an einem Tro-Tro-Beifahrer vorbei, der sein Fahrziel in einem monotonen Singsang ausrief. Straßenverkäufer von Mobile Fan Milk verkauften heiße Schokolade und Kaffee aus Thermobehältern vorn an ihren Fahrrädern. Und mitten in all dem Lärm schlief ein Karrenjunge friedlich neben seinem Karren an einer Wand, auf der in großen Lettern KEINE PLAKATE AUFKLEBEN stand.
An der Ecke Nkrumah Avenue und Kente Street war eine Gruppe von Ashawos. Sie trugen Blusen und Röcke, die ihre großen Brüste und runden Hintern kaum bedeckten, hatten Perücken auf und waren grell geschminkt mit falschen Wimpern und dicker Mascara. Verglichen mit ihnen kam sich Akosua schäbig vor. Drei der Ashawos stritten wegen irgendwas mit einem großen, schmalen Transvestiten in einem durchsichtigen schwarzen Hemd, während die anderen Autos heranwinkten und Preise mit den Fahrern aushandelten, die an den Rand gefahren kamen.
Akosua bog in die kleinere Kente Link. Zuerst achtete siegar nicht weiter auf das Knirschen von Reifen auf Kies unweit von ihr. Dann ertönte ein Hupen. Es war kein ungeduldiges Tröten – eher ein Tüt-Tüt , das sie dazu bringen sollte hinzusehen.
Der Mann in dem Auto winkte ihr zu. Akosua zeigte fragend auf sich, weil sie nicht sicher war, dass er sie meinte. Er nickte und winkte sie zu sich hin. Komm .
Was wollte er? Sie war überhaupt nicht wie eine Ashawo angezogen.
Sicherheitshalber blieb sie auf der Beifahrerseite.
Er sprach sie auf Ga an, fragte, ob sie ihn verstand.
»Was hast du?«, fragte er. »Bist du traurig?«
Sie verneinte stumm.
»Doch, bist du.« Er lächelte freundlich. »Das sehe ich dir an.«
Es gab so gut wie kein Licht, trotzdem glaubte Akosua, eine Narbe auf seiner Stirn zu erkennen.
»Du hast kein Geld, und du bist hungrig.«
Sie nickte.
»Ich kann dir mit ein bisschen Geld helfen, wenn du mir auch hilfst.« Er holte einen Fünf-Cedi-Schein aus seiner Tasche und wedelte damit.
Akosua schluckte. Die Verlockung war sehr groß.
Der Fremde lächelte. Da war etwas an seinem Lächeln, das Akosua nicht gefiel. Es machte ihr eine Gänsehaut. Sie wich zurück. Der Mann beobachtete sie wie ein Verdurstender. Akosua drehte sich um und ging weg. Sekunden später hörte sie, wie die Reifen, die in dem Sand und Kies nicht recht griffen, durchdrehten. Einen panischen Augenblick lang fürchtete sie, er würde ihr folgen, doch als sie sich ängstlich umsah, stellte sie fest, dass der Mann wegfuhr. Sein Wagen war von einer hohen Staubwolke verhüllt.
Erleichtert wanderte Akosua weiter. In dieser Straße schliefen viele Leute vor den Läden, manche zu zweit oder in Gruppen, von Babys bis hin zu erwachsenen Männern und Frauen. Akosua suchte sich einen freien Platz und setzte sich mit dem Rücken zur Mauer. Sie würde halb schlafen, halb wachen, denn sie
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