Accra: Roman (German Edition)
»Der Todeszeitpunkt, nach dem Sie ja gewiss fragen werden, Inspector, fällt in ein ziemlich großes Zeitfenster. Berücksichtigt man die warmen Temperaturen und seinen schlanken Körperbau, würde ich sagen, in den letzten acht Stunden, wahrscheinlich zwischen Mitternacht und drei oder vier Uhr heute Morgen.«
Er zog an Ofosu, um ihn von der Wand wegzubewegen. Doch die Leiche blieb aufrecht in exakt derselben Position, was unheimlich wirkte. Biney leuchtete auf Ofosus Rücken.
»Das ist ein unglücklicher Winkel, um es sich anzusehen«, sagte er, »aber er hat rechts eine Stichwunde. Zweifellos werden wir bei der Autopsie innere Blutungen finden. Ich komme raus, damit Sie es sich ansehen können. Für drei ist es hier zu eng.«
Biney und Dawson tauschten die Plätze.
»Dasselbe wie bei den anderen«, sagte Dawson. »Der Mörder ist zurück. Er ist nicht lange ruhig geblieben.«
40
In der Gerichtsmedizin schloss Dr. Biney Ofosu die Augen und brach die Totenstarre der Kieferknochen, sodass auch der Mund geschlossen war, bevor er den Jungen mit einem sauberen Laken zudeckte. Dann brachte Dawson Antwi herein. Der Junge stand seitlich vom Tisch und starrte Ofosu lange Zeit stumm an. Schließlich sah er zu Dawson auf.
»Darf ich ihn anfassen?«
Dawson blickte fragend zu Dr. Biney, der nickte.
Antwi strich sacht über Ofosus Gesicht.
»Er ist ganz kalt.«
»Ja«, sagte Dawson.
Beim Betrachten seines toten Freundes huschte ein Lächeln über Antwis Gesicht, als würde er sich an etwas Schönes erinnern, ehe ihn die Trauer erneut überwältigte. Er weinte mit weit geöffneten Augen und zitterte am ganzen Leib, bis er vor Erschöpfung zu schwanken began. Dawson legte seine Arme um ihn, hob ihn hoch und trug ihn aus dem Raum.
Draußen lehnte Antwi am Flammenbaum und stierte mit leerem Blick in die Ferne. Dr. Biney verabschiedete sich an der Tür von Dawson.
»Traurig, nicht wahr, Inspector?«
»Oh ja, das ist es. Und sehr schwer für ihn. Er und Ofosu standen sich sehr nahe.«
»Wie geht es Ihnen ?«
Dawson blickte auf die Erde, ohne etwas zu sehen, und klopfte sich gegen die Brust. »Hier ist eine kalte, schwere Wut. Mord ist Mord, aber von den vier Opfern ist Ofosu das einzige,das ich kannte, und auch das jüngste. Mein eigener Sohn wird bald in seinem Alter sein.« Er sah zu Dr. Biney hoch. »Was für ein Hass, was für ein Zorn treibt einen Mann an, so zu töten?«
Biney nickte nur, denn er wollte zuhören, nicht reden.
»Ich kriege ihn«, sagte Dawson. »Er glaubt, dass er unbesiegbar ist, aber ich kriege ihn.«
Dawson saß neben Sergeant Baidoo, als sie Antwi zurück zum Kaneshie-Markt fuhren. Still hockte der Junge auf der Rückbank.
Dawson rief Chief Supol Lartey an.
»Es hat gerade einen weiteren Mord gegeben, Sir. Ein Teenager, der tot auf einer öffentlichen Latrine aufgefunden wurde. Es scheint dieselbe Handschrift zu sein wie in den anderen drei Fällen. Nur zu Ihrer Information.«
Schweigen.
»Sir?«
»Ja, ich bin noch da. Also ist Tedamm nicht unser Mann?«
»Ausgenommen für die Vergewaltigung.«
Ein tiefes Seufzen. »Na gut. Ich will Sie und Philip um Punkt acht Uhr morgen früh sehen. Legen Sie mir alles vor, was Sie haben.«
»Ja, Sir.«
Nachdem er das Telefonat beendet hatte, drehte sich Dawson zu Antwi um, der aus dem Seitenfenster starrte.
»Ich möchte, dass du keine Minute mehr allein bist«, erklärte er dem Jungen. »Ich will, dass du bei jemandem bist, dem ich vertraue. Kennst du Issa?«
»Ja, den kenn ich.«
»Wie wär’s, wenn ich ihn frage, ob er dich bei seiner Gang bleiben lässt?«
»Er mag mich nicht.«
»Hat er das gesagt?«
»Nein, Sir, aber das weiß ich.«
»Magst du ihn auch nicht?«
Antwi zuckte mit den Schultern.
»Er ist ein netter Mensch«, beharrte Dawson. »Wenn ich mit ihm rede, wird er dein Freund.«
Antwi schien das zu bezweifeln.
»Machen wir einen Abstecher zum UTC-Gelände, ehe wir nach Kaneshie fahren«, sagte Dawson zu Baidoo.
Dort fanden sie Issa zwar nicht, trafen aber auf jemanden, der ihn früher am Tag oben am CMB-Gebäude gesehen hatte. Da es nicht weit bis dort war, stiegen Dawson und Antwi aus, sodass Baidoo mit dem Wagen auf dem Parkplatz der Ghana Commercial Bank stehen bleiben konnte. Zu Fuß gingen sie hinauf zum stillgelegten Bahnhof. Es war fast elf Uhr vormittags. Die Sonne brannte erbarmungslos auf die Kirchgänger in ihrem Sonntagsstaat herunter, einschließlich der Männer, die ihre dunklen Anzüge von innen
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