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Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)

Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)

Titel: Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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härter. Denn sie sind ja nicht irgendein Männerverein, sondern ein erzchristlicher. Im Zentrum ihrer Rituale steht der Gral, der Kult ums Blut Christi. Und gibt es im Christentum einen krasseren Gegensatz als den zwischen dem heiligen, am Kreuz vergossenen Opferblut Jesu und dem für höchst unrein gehaltenen Menstruationsblut?
    Ihr Chef ist für die Männerrunde also nicht nur ein peinlicher Ekelfaktor – er ist die schiere Blasphemie. Um der Katastrophe die Krone aufzusetzen, hat Amfortas bei seinem Ausflug in den »Zaubergarten« nun aber nicht nur seine eigene Männlichkeit eingebüßt, sondern auch den »heiligen Speer«. Jene Lanze, mit der Jesus die Wunde geschlagen wurde, aus der sein Blut in den Gral floss. Und dieser Verlust ist für die Ritter womöglich noch schlimmer als alles andere: Sie, die ihre eigenen Phalli so strikt unter Verschluss halten müssen – von der Frage, was die Gralsritter beim Duschen machen, sehen wir einmal höflich ab -, sie büßen ihren wichtigsten Fetisch ein, eben jenes Phallussymbol, das den Leib des Heilands penetrierte.
    Der Verdacht, dass es bei der Eucharistiefeier um eine kryptosexuelle Ersatzhandlung gehen könnte, ist nicht neu. Aber keiner hat das brennender gespürt als Wagner. Wie sonst ist die erotische Brutalität zu verstehen, die in den Chören der Gralsritter tobt, wenn diese Amfortas auffordern, das Zeremoniell zu vollziehen? Klingen so fromme Christen, die sich nach dem Abendmahl sehnen? Oder ist es nicht die Wut von Vergewaltigern, die eine Verschmelzung notfalls auch mit Gewalt erzwingen wollen?
    Es ist es also kein Wunder, dass Amfortas, Gurnemanz und all die anderen Ritter händeringend auf einen warten, der sie aus dieser Erniedrigung, aus diesem Triebstau erlöst. Und – Prophezeiung sei Dank – wissen sie auch schon, wer ihr Messias sein wird: »Durch Mitleid wissend, der reine Tor.«
    Ein heißer Anwärter für diesen Posten taucht recht bald im Gralsgebiet auf: Ein Knabe, der weder weiß, wie er heißt, noch, woher er kommt, aber dafür großartig mit Pfeil und Bogen umgehen kann. Ahnungslos gut gelaunt schießt er einen Schwan vom Himmel. Ist Ritter Gurnemanz über diesen Akt sinnlosen Testosteronüberschusses anfangs erbost, verfliegt sein Zorn, als er begreift, wen er vor sich hat: Einen waschechten Toren. Bleibt die alles entscheidende Frage: Ist er auch ein reiner Tor? Und wird er durch Mitleid wissend werden?
    Um dies herauszufinden, nimmt Gurnemanz den Taugenichts mit zur Gralszeremonie. Aber ach: Der Tor begreift gar nichts. Steht so verschreckt und unbeholfen herum wie die Unschuld vom Lande, die zum ersten Mal in eine Massenorgie gerät. Auch hier liegen das Mystisch-Sakrale und das Obszöne dichter beieinander, als man hoffen sollte.
    Der enttäuschte Gurnemanz wirft den Toren hinaus mit dem Kommentar, er, Gänserich, solle sich lieber die Gans suchen. Die zweigeschlechtliche Paarbildung bleibt im Gralsdistrikt eben streng den Tieren vorbehalten.
    Der Tor nimmt diesen Rat wörtlich, von der Ritterburg stolpert er stracks in denselben »Zaubergarten«, in dem Amfortas sich seine Unterleibsblutung eingefangen hat. Die dort arbeitenden Damen umgarnen den jungen Gast, wie das die Prostituierten in jedem einigermaßen anständig geführten Bordell zu tun pflegen. Als sie ihm jedoch zu sehr auf den Leib rücken, macht der Tor den Rückzieher. Warum soll einer, der gerade erst erfolgreich von seiner Mutter abgehauen ist – die einzige Leistung, die er in seinem bisherigen Leben bewusst vollbracht hat -, warum soll so einer schon wieder in die weibliche Schlinge gehen? Einen Moment sieht es so aus, als würde sich der Tor tatsächlich als reiner Tor erweisen, und zwar nicht im banalen Sinne von »zwangsläufig reiner Tor, da ihm außer der Mutter noch nie eine Frau über den Weg gelaufen ist«, sondern im triftigen Sinne von »lässt keine Frau an sich ran, obwohl er gute Gelegenheit dazu hätte«. Da inszeniert Kundry – Amfortas’ fatale Verführerin – ihren großen Auftritt. Sie ist die Erste, die das Kind beim Namen nennt: Parsifal – zu gut Deutsch: Der reine Tor. (Wenigstens hat sich der Hobby-Arabist Wagner diese Namensübersetzung so zurechtgelegt.) Doch Kundry ist wild entschlossen dafür zu sorgen, dass Parsifal seinen Namen nicht lange zu Recht tragen wird. Als Frau, die weiß, was Knaben schwach macht, enthüllt sie Parsifal, dass sie dabei war, als er geboren wurde. (Nur am Rande sei angemerkt, dass Kundry damit nach

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