Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)
Vielleicht hätte dieser Umstand ein Mitglied der Spezies »Oxford-Professor« dazu bringen können, etwas vorsichtiger in seiner Begriffswahl zu sein, aber gut, wir sind nicht empfindlich.
Als erstes Charaktermerkmal unserer Spezies darf ich Ihnen somit enthüllen: Uns sitzt die Hand weit weniger locker am Abzug als dem islamischen Fundamentalisten. Wieso wir mit jenem dennoch so eng verwandt sein sollen wie das Weißschwanzgnu mit dem Streifengnu, erklärt unser Entdecker so: »Aber, wird der Fundamentalist der Aufklärung protestieren, unser Glauben ist auf Vernunft gegründet! Na und, gibt der islamistische Gotteskrieger zurück, unser Glauben ist auf Wahrheit gegründet!« Und schon stehen wir dumm da: Mit gesenktem Schädel, Gehörn gegen Gehörn, so aussichtslos verkeilt wie zwei Kuhantilopen in der afrikanischen Savanne. Dabei weiß TGA, wie man sich ganz einfach aus der Verkeilung lösen könnte. Man, das heißt wir Aufklärungs-Fundamentalisten geben unseren Glauben auf und verhandeln. Und deshalb weiß ich jetzt auch, wie wir die Spezies, zu der TGA gehört, präziser bezeichnen sollten: »Unterhändler der Aufklärung«.
Worüber dieser bereit ist zu verhandeln, hat er uns auch schon verraten: In die Frage, ob Muslime ihre Frauen unter den Schleier zwingen, sollten wir alte Europäer uns nun wirklich nicht einmischen. Und lassen wir hier vornehme Zurückhaltung walten, wird der islamistische Gotteskrieger nämlich im Gegenzug sofort bereit sein, uns in der Frage der Meinungsfreiheit entgegenzukommen – die der Professor dann schon weniger gern verhandeln möchte. Da es ein weiteres Wesensmerkmal unserer Spezies ist, im Grunde freundliche Menschen zu sein, erspare ich TGA die naheliegende Frage, ob seine Abgeklärtheit in Sachen Zwangsverschleierung etwas damit zu tun haben könnte, dass selbst der fundamentalistischste Dschihadist kaum je auf den Gedanken kommen wird, männlichen Oxford-Professoren das Kopftuch zu verordnen.
Die zentrale Argumentationskette des Unterhändlers der Aufklärung gegen uns lautet so: Fakt ist, dass es in Europa immer mehr Muslime gibt. Also haben wir einen Teil von deren Wertvorstellungen zu übernehmen, ganz gleich, ob sie sich mit unseren beißen. Anders gesagt: Der Fusion-Trend, der die westlich urbanen Küchen so spielerisch erobert hat, soll auf das ethische Feld ausgeweitet werden. Keiner von uns möchte bestreiten, dass es eine kulinarische Bereichung darstellt, zum Sauerkraut statt Rippchen Falafel zu essen. Wie dagegen der Glaube ans vernunft-, freiheits- und gewissensbegabte Individuum fusionierbar sein soll mit dem Glauben, dass der Mensch nichts ist, wenn er sich nicht Allah unterwirft – das hat uns bis zum heutigen Tag kein noch so begnadeter Fusion-Koch erklären können. Wann immer wir uns anmaßen, Muslime nicht als fremdgesteuerte Herdentiere, sondern als zurechnungsfähige Individuen zu betrachten und von ihnen dementsprechend Verhaltensweisen zu verlangen, die eines zurechnungsfähigen Individuums würdig sind, zuckt der Unterhändler der Aufklärung nur mitleidig die Achseln: »Es ist einfach nicht realistisch.« Sieht so die »normative Kraft des Faktischen« im 21. Jahrhundert aus? Oder ist es, um mit Nietzsche einen älteren Experten für Anti-Aufklärung zu zitieren, fatalistische »Unterwerfung unter das Tatsächliche«?
Nun möchte ich dem Aufklärungs-Unterhändler gar nicht unterstellen, dass ihn der Gedanke, eines Tages möglicherweise in einem islamischen Gottesstaat leben zu sollen, weniger schreckt als uns. Seine Abgeklärtheit bezieht er vor allem aus der Hoffnung, dass es so schlimm schon nicht kommen wird. Ian Buruma, Autor klarsichtiger Werke wie Okzidentalismus: Der Westen in den Augen seiner Feinde, der bis vor Kurzem selbst noch als Mitglied unserer Spezies galt, erklärt neuerdings, dass er den radikalen Islam für keine totalitäre Gefahr hält, zumindest nicht für Europa. Die gegenteilige Annahme setze ja voraus, dass die nächsten Generationen Einwanderer genauso schlecht integriert seien wie die vor ihnen, und, O-Ton Buruma: »Wir können nur hoffen, dass dies nicht der Fall sein wird.« Wir können es nur hoffen? Zugegeben: Hier offenbart sich ein weiteres Wesensmerkmal unserer Spezies: In der Disziplin »Hoffen« sind wir nicht besonders gut. Besser schon sind wir darin, eindeutige Grundsätze zu fordern, die verhindern sollen, dass eines Tages tatsächlich nur noch hoffen hilft. Und damit kommen wir zu der heiklen Frage,
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