Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)
und Frau zu tief.
Schon im Fliegenden Holländer trieb Wagner die Panik um, dass eine Frau imstande ist, einen Mann zu verraten. Die Crux beginnt, wenn der Mann – der Überlegene, der Stärkere – sich einer Frau – einem als schwächer erachteten Wesen – ausliefert und ihr damit eine Macht erteilt, die ihr nicht zustehen darf. Denn was bleibt übrig vom starken Manne, wenn er sich als vom schwachen Weibe abhängig erfahren muss?
Wagners letzte Muse, die ihn zur Zeit des Parsifal aus der Ferne beglückte, war die junge französische Schriftstellerin und SchriftstellertochterJudith Gautier,von der Baudelaire vorhersagte, dass sie viele Männer ins Unglück stürzen würde, und die von Victor Hugo in einem berühmten Liebesgedicht angesungen wurde. Mit ihr pflegte Wagner einen regen Briefverkehr – er wies sie an, ihre Briefe an seinen Barbier in Bayreuth zu senden, um sie vor der eifersüchtigen Cosima zu verbergen. Außerdem bat er sie, ihm Satin und Seidenstoffe, Irismilch, Rosenpuder und Parfüm aus Paris schicken zu lassen. Aus den Briefen Wagners an Judith, die überliefert sind – irgendwann kam Cosima doch hinter die Affäre und vernichtete alle Briefe, die ihr für die Nachwelt ungeeignet erschienen – spricht vor allem eins: Wagners Angst, er könne diese Frau nicht ganz besitzen.
»Ich schreie nicht«, schreibt er in einem Brief, »aber in meinen besten Momenten bewahre ich mir eine so süße, wohltuende Sehnsucht, jene Sehnsucht, Ihre göttliche Liebe nie zu verlieren. Sie sind mein, nicht wahr?« Und an anderer Stelle »Werden Sie mich auch dann und trotzdem lieben? Ich hoffe es. Oh ja! Und wenn Sie es nicht wollen, so küsse ich Sie trotzdem! O, ich besitze schon ein Ding, das ich >Judith< nenne.« Aus einem weiteren Brief erfahren wir, worum es sich bei dem »Ding« handelt: Um eine Chaiselongue, für die Wagner den Bezug bei Judith in Paris bestellt hatte – »gelber Satinhintergrund, so blass wie möglich, mit Rosen, das Muster nicht zu groß« – und auf die er sich in seinen Verzweiflungs- und Verlassenheitsmomenten zu werfen pflegte.
Was verrät uns all dies über den Gemütszustand der eingangs genannten Film- und Theatermacher, die dem Charme des Parsifal erlegen zu sein scheinen? Bedenkliches, steht zu befürchten.
Ist es immer noch – oder schon wieder – so schwer, ein Mann zu sein, dass man unter den seidenen Rockschößen des Meisters Zuflucht suchen müsste? Ist es unmöglich, den Sex wirklich – und nicht nur im Frauenfernsehen – zu entdämonisieren? Reichen die vorsichtigen Triebe der Emanzipation bereits aus, das männliche Selbstbewusstsein von der Wurzel her krank zu machen? Anscheinend ja. Und deshalb wird er noch eine große Zukunft vor sich haben, der reine Tor – die Hoffnung des hysterischen Mannes.
Fundamentalistin der Aufklärung
Thea Dorn stellt sich vor die Errungenschaften derflufklärung und dennoch keine Guillotine hinters Haus.
»Wie fühlt es sich an, eine Fledermaus zu sein?«, fragt der Philosoph Thomas Nagel in seinem gleichnamigen Essay von 1974. Die Antwort: Wir Menschen werden es nie wissen – solange wir nicht selbst Fledermäuse sind. Ich muss Sie enttäuschen. Auch ich bin keine Fledermaus. Aber ich zähle zu einer anderen Spezies, über die neuerdings fast ebenso viele Mutmaßungen angestellt werden wie über die lichtscheuen Säugetiere. Die Rede ist von dem »Fundamentalisten der Aufklärung«. Deshalb darf ich mit gewissem Recht hoffen, Auskunft in der Frage erteilen zu können, wie es sich anfühlt, ein solches Wesen zu sein.
Wer unserer Spezies den Namen gegeben hat, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Vermutlich war es Professor Timothy Garton Ash, im Hauptberuf Historiker. Das Verdienst, als Erster eine der Unseren öffentlich als »Fundamentalistin« bezeichnet zu haben, kommt allerdings einem anderen zu – Mohammed Bouyeri. Er schrieb: »Ich weiß sicher, dass Du, oh Ayaan Hirsi Ali, untergehen wirst! Ich weiß sicher, dass Du, oh ungläubige Fundamentalistin, untergehen wirst!«
Bouyeri ist im Hauptberuf nicht Historiker, sondern rechtgläubiger Muslim, weshalb seine Zeilen auch nicht zuerst in der New York Review of Books zu lesen waren, sondern in einem Brief. In einem Brief, den er der Adressatin allerdings nicht mit der niederländischen Post zustellte, sondern mit einem Messer an die Brust Theo van Goghs heftete, nachdem er den Filmemacher zuerst erschossen und ihm dann die Kehle aufgeschlitzt hatte.
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