Achsenbruch
Weilchen ignoriert hätte.
»Und was meinst du?«, fragte Susanne, während sie in einen Handspiegel spähte und ihren Lidstrich nachzog.
Mager grinste: »Wie kommt es nur, dass ich heute einer Meinung mit BLUT bin? Den Bochumer Sozis traue ich alles zu, aber Dorns Story nimmt sie aus der Schusslinie. Bin gespannt, was Erich uns heute erzählt.«
»Der Typ von dieser roten Liste?«
»Genau. Aber den treffen wir erst um eins. Was tun wir bis dahin?«
»Beißner«, meinte Susanne.
Kalle und sein Vater blickten überrascht auf.
»Sonnenschein sitzt in Quarantäne, an die kommen wir nicht ran. Die Konkurrenz setzt voll auf die Angst vor den Muslimen. Also nehmen wir Beißner. Wie sieht es in seiner Kanzlei aus? Wie geht das mit seinen offenen Akten weiter? Was sagt die Sekretärin? Was wird aus ihr?«
»Mensch, das ist wieder so eine ›Das Leben ist so hart‹-Geschichte«, grollte Mager.
Susanne seufzte. Dieser Streit war so alt wie PEGASUS. Der Kameramann sah die Firma noch immer als aufrechte Kämpferin für ›soziale Gerechtigkeit‹, wie er sein politisches Traumziel mittlerweile nannte. Aber beim Sender kamen die Human-Touch-Reportagen am besten an. Und mit diesem Konzept hatte Susanne Ledig PEGASUS all die Jahre über Wasser gehalten.
»Vielleicht steckt aber doch mehr dahinter«, sagte Kalle.
Die anderen sahen ihn aufmerksam an.
»Ich habe heute Morgen mal ein wenig im Internet gestöbert.«
Sein Vater hätte in einer solchen Situation erst eine lange Kunstpause eingelegt, um die anderen auf die Folter zu spannen. Aber Kalle setzte auf den direkten Weg.
»Immerhin hat es Beißner erwischt und nicht die OB.«
»Der Mann war harmlos gewesen«, warf Mager ein. »So ein Kleinstadtnotar lebt doch von Verträgen, Testamenten und allen möglichen anderen Urkunden.«
»Ja. Aber er war nicht immer Kleinstadt-Notar.«
»Ich weiß«, erklärte Susanne. »Vorher war er Rechtsdezernent in zwei oder drei größeren Städten.«
»Das ist aber nicht der Anfang.«
»Sondern?«
»Er hat in Essen eine eigene Kanzlei gehabt. Hat ein paar Prozesse für Bürgerinitiativen gewonnen. Den Weiterbau der A 52 verhindert. Einen Korruptionsskandal im Rathaus aufgedeckt.«
Mager erinnerte sich – da waren tatsächlich einige Köpfe gerollt. Aber Kalles Theorie passte nicht: »Und zum Dank dafür haben die Spezialdemokraten ihm die gut dotierten Dezernenten-Posten verschafft?«
»Nicht zum Dank, sondern aus Vorsicht.«
»Wieso?«
»Mensch, Vadda. Sie haben ihn auf ihre Seite geholt. Er hat dann keine Prozesse mehr für die Bürgerinitiativen geführt, sondern gegen sie. Wäre spannend herauszufinden, wer das eingefädelt hat.«
Susanne signalisierte Zustimmung, aber der Kameramann grübelte noch, während sein Blick durch die ungeputzten Fenster auf die grauen Fassaden der anderen Straßenseite gerichtet war. Früher wäre er sofort auf diese Idee angesprungen, aber vor mühsamen Recherchen wie dieser überkam ihn immer öfter der reinste Horror. War er reif für die Rente?
»Überleg doch: Wenn wir fündig werden«, legte sein Sohn nach, »dann könnten wir einen echten Knüller landen, anstatt den Einheitsbrei der anderen wieder aufzuwärmen. PEGASUS hat schließlich einen Ruf zu verteidigen.«
Endlich nickte der Alte und Susanne warf dem jungen Mager einen Luftkuss zu. Zumindest bis zum Mittag ist das Betriebsklima gerettet, dachte sie. Doch dann kam Karin ins Büro. Sie hatte Theo in die Kita gebracht und setzte sich jetzt wortlos an ihren Schreibtisch, um den Computer hochzufahren. Ihr Gesicht zu einer Maske erstarrt, die Augen schmal und dunkel gerändert und die lustigen Grübchen in ihren Wangen hatten sich in tiefe Falten verwandelt.
Au Backe, dachte Susanne und wartete ab, bis Kalle und sein Vater verschwunden waren. Dann legte sie der Rothaarigen die Hand auf die Schulter und beugte sich zu ihr hinunter: »He, kleine Karin, Kummer?«
Die Rote reagierte nicht, sondern blickte starr auf ihre Tastatur.
»Komm, stell den Anrufbeantworter an und leg dich noch mal zwei Stunden auf die Couch. Wir sind bis zum Nachmittag unterwegs und der Kram hier auf dem Schreibtisch kann warten. In Ordnung?«
Karin nickte, ohne Susanne anzusehen.
16
»Was ist denn hier los?«, fragte Lohkamp, als er am Dienstag im Präsidium erschien. Kathrin Klemm saß vor ihrem Rechner und ließ eifrig die Tastatur klappern, Hardenberg hockte im Nebenraum an einem Laptop und tat das Gleiche – und in der geöffneten Tür zwischen
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