Achsenbruch
ihnen lehnte eine männliche Gestalt, die ihren Oberkörper hinter der BLUT-Zeitung versteckt hatte. Terroristen in Bochum?, hatte das Blatt getitelt.
Idioten, dachte Lohkamp, die hätten wohl lieber ein Ausrufungszeichen hinter die Schlagzeile gesetzt. Laut fragte er: »Was ist denn hier los? Müsst ihr jetzt Diktate schreiben?«
»Ruhe!«, raunzte der Mann am Türpfosten. »Die beiden dürfen jetzt nicht reden.«
»Wie bitte?«
»Ich habe mich doch wohl klar ausgedrückt!«
»Tinnef!«, sagte Lohkamp, trat hinter Klemm und sah ihr über die Schulter: »Was ist los?«
»Wir müssen …«
»Nicht reden!«, meckerte der BLUT-Leser und ließ seinen täglichen Intelligenztest sinken. Ein glattes Gesicht, das von einer Halbglatze und einem perfekt gebundenen Schlips umrahmt wurde, kam zum Vorschein – irgendein Verwaltungsmensch, den Lohkamp schon mal in der Kantine gesehen hatte.
»Die beiden haben ein nagelneues Dienstfahrzeug geschreddert und müssen darüber jetzt getrennt Berichte abliefern.«
»Getrennt? Jeder einen?«
»Genau. Seit der Fahrzeugpark Düsseldorf untersteht, ist das so. Dort werden die Schadensmeldungen ausgewertet.«
Lohkamp seufzte. Die neue Regierung in der Landeshauptstadt war von einer Datensammelwut beherrscht, wie er sie in über dreißig Dienstjahren noch nicht erlebt hatte. Darüber hinaus trieb der Zentralismus die tollsten Blüten. War früher eines der Aufnahmegeräte, die man bei Vernehmungen brauchte, defekt, wurde ein neues angeschafft. Jetzt musste man die Apparate in Düsseldorf bestellen lassen. Aber die Krämerseelen im Ministerium warteten, bis sie fünfzig Stück ordern und dabei einen günstigen Rabatt aushandeln konnten – während man in den Städten wegen fehlender Geräte nur noch nach festen Terminplänen vernehmen konnte.
»Die spinnen doch!«, sagte Lohkamp. »Demnächst müssen wir noch eine Statistik darüber anlegen, wer auf dem Klo am meisten Spülwasser verbraucht. Sind die neuen Messgeräte schon da?«
Der Mann mit der Halbglatze sah ihn verständnislos an und deutete dann auf seine Armbanduhr: »Noch genau neun Minuten. Und Sie verlassen besser …«
»Ich verlasse gar nichts. Aber Sie gehen besser mal vor die Tür und studieren die Namensschilder«, unterbrach ihn der Hauptkommissar. »Dann wissen Sie, wer hier rausschmeißen darf und wer nicht!«
Er setzte sich neben Klemm und überflog den Text, den sie bisher getippt hatte.
»Habt ihr wenigstens den Halter des Scirocco identifiziert?«
»Das Kennzeichen gibt es nicht«, sagte Klemm. »Die müssen irgendwas überklebt haben. Oder haben Buchstaben oder Zahlen ergänzt. Ewald und ich wollten ein bisschen puzzeln, um herauszufinden, welche Kombinationen aus Buchstaben und Zahlen leicht abzuändern sind. Aber der freundliche Kollege da …«
»Noch acht Minuten«, meldete der Hirnlose. »Und ich schreibe selbstverständlich eine Aktennotiz über Ihre Insubordination!«
»Tun Sie das«, sagte Lohkamp und musterte den Schlipsträger mit unverhohlenem Spott. Aus welchem Keller hatten sie denn diesen Trockenschwimmer ans Tageslicht geholt? ›Insubordination‹ – dieses Wort hatte ihm zuletzt sein Lateinlehrer gegönnt.
»Aber jetzt hauen Sie einfach ab, Sie Oberamtsrat. Die Kommissare Klemm und Hardenberg haben für Ihren Blödsinn keine Zeit. Sie müssen die Fahndung nach einem Fluchtfahrzeug einleiten. Wir sind hier nämlich bei der Polizei und nicht beim Landesamt für Statistik! Dalli, dalli, junger Mann!«
Der BLUT-Leser faltete seine Lektüre zusammen: »Das wird ein Nachspiel haben. Ich werde mich beschweren!«
»Tun Sie das!«, ermunterte ihn Lohkamp. »Und erzählen Sie nach Dienstschluss Ihrer Gattin, wie viel Stress man heutzutage mit diesen arroganten Kripoleuten hat.«
»Der und Gattin?«, kicherte Klemm, noch bevor der Krawattenmann die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Hat der bestimmt nicht. Es gibt gar kein Formblatt, um eine in Düsseldorf anzufordern.«
Lohkamp grinste eine Sekunde lang mit und sagte dann: »Aber jetzt zeigt mir mal, was ihr euch überlegt habt.«
Hardenberg kam herüber und legte ihm einen Zettel vor. »Hier, das Kennzeichen, das wir gestern gesehen haben: DO-I 181. Aber vielleicht hatte der Wagen kein I, sondern ein E oder F und die haben die Querstriche zugeklebt. Oder hinter dem I stand noch ein anderer Buchstabe, der wenig Platz braucht.«
»Verstehe«, sagte Lohkamp. »Macht weiter und prüft die infrage kommenden Fahrzeuge. Und danach
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