Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Achsenbruch

Achsenbruch

Titel: Achsenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Junge
Vom Netzwerk:
›Modernisierung‹ der Stadt abgerissen und durch Einkaufszentren ersetzt worden waren.
    »Wahrscheinlich völlig überflüssig, hier zu sitzen«, hatte Hardenberg gesagt, als sie die ersten Stunden überstanden hatten.
    »Weiß nicht. Aber wer’s ein Mal versucht, der tut’s auch ein zweites Mal.«
    »Wenn nicht doch dieser Notar das Ziel war«, meinte er.
    Da auch aus dem Präsidium keine neuen Informationen herüberkamen, saßen sie die meiste Zeit auf ihren Sesseln und entsafteten die Akkus ihrer Handys: Klemm textete mindestens zwanzig Kurznachrichten an ihren Freund und Hardenberg spielte Tetris, bis die Balken und Klötzchen auch ohne Display vor seinen Augen schwebten. Ab und zu traten sie mit ein paar Schritten zwischen den Glastüren die Spurrillen in der Auslegeware etwas tiefer, aber dadurch wurde die Lage auch nicht besser. Nach vier Stunden zog Hardenberg los, um im Uni-Center Coffee to go und zwei Döner zu besorgen, vier Stunden später war Kathrin Klemm mit der Versorgung an der Reihe. Dabei konnten sie noch von Glück sagen, dass der aufmerksame Hausmeister ihnen das Appartement neben der Unterkunft Sonnenscheins aufgeschlossen hatte, damit sie nicht die Toiletten im Kellergeschoss aufsuchen mussten.
    »Wie spät?«, fragte Hardenberg irgendwann.
    »Ist deine Uhr stehen geblieben?«
    »Nein. Ich bin nur zu faul, den Arm zu heben und nachzusehen.«
    »Idiot«, grinste Kathrin Klemm und zückte dann ihr DienstHandy, um im Büro der Soko ›Sonnenschein‹ anzurufen.
    »Lohkamp!«
    »Chef«, sagte Klemm. »Da Sie auch noch arbeiten, will ich mich ja nicht beschweren. Aber wir sitzen noch immer …«
    »Au, verflucht!«, unterbrach sie der Hauptkommissar. »Alles klar, ich regele das. In einer halben Stunde werdet ihr abgelöst.«
    Die Polizistin steckte das Handy ein und kassierte das fällige Lob ihres Kollegen: »Gut, dass du angerufen hast. Sonst säßen wir morgen früh noch hier.«
    »Na ja«, wiegelte sie ab, »er hat sicher ’ne Menge am Hals.«
    »Trotzdem!«, widersprach Hardenberg. »Früher wäre ihm das nicht passiert. Er geht eben auf die Rente zu.«
    In der nächsten halben Stunde schwiegen sich die beiden wieder an. Ein paar Jahre zuvor hatte es mal so ausgesehen, als könnten sie das schönste Polizistenehepaar von Bochum werden. Aber auf die Dauer hatte es nicht funktioniert: Dass sie in Beruf und Privatleben dicht auf dicht zusammenhockten, war deutlich zu viel Nähe gewesen und hatte ihnen kaum Freiräume für unterschiedliche Interessen gelassen.
    Dann hatte er in der Disco die Leiterin einer Kindertagesstätte kennengelernt und sie beim Joggen einen Nokia-Programmierer – und sie hatten das scheinbar Unmögliche geschafft, ihre Beziehung wieder auf das kollegiale Verhältnis zurückzuschrauben. Dabei war Klemm trotz des Trennungsschmerzes im Nachhinein froh, dass er zuerst abgesprungen war – es gab genügend Beispiele dafür, dass Polizisten ihre Eifersuchtsattacken mit der Dienstpistole bewältigen wollten.
    Endlich hörten sie aus dem Treppenhaus das leichte Fauchen des Aufzugs und zwei uniformierte Kollegen betraten den Korridor. Der eine hatte zwei Colaflaschen unter den Arm geklemmt, der andere balancierte eine Tragetasche mit der Aufschrift Uni-Grill . Sofort war der kleine Korridor vom Geruch frischer Pommes frites erfüllt: »Sind wir hier richtig bei der Sonnenschein?«
    »Ja«, sagte Hardenberg und musterte die beiden. »Wo kommt ihr denn her? Hab euch noch nie in Bochum gesehen!«
    »Herne«, sagte der Dickere von beiden. Er schnallte seinen Gürtel mit dem Pistolenholster ab und ließ beide Teile auf den Boden poltern, ehe er sich setzte. »Zeitweilig zu euch abgeordnet. Weiß auch nicht, wieso.«
    Während die beiden schmatzend ihre Abendmahlzeit in Angriff nahmen, teilte Hardenberg ihnen das Nötigste mit. Die beiden nickten so eifrig, als wüssten sie schon alles, hatten aber nur Augen für die von Fett triefenden Keulen und Flügel.
    »Boah«, seufzte Hardenberg, als sie im Aufzug standen. »Dieser Hähnchenduft …«
    »Zu viel Cholesterin«, sagte Klemm. »Und garantiert Massentierhaltung, vollgepumpt mit Antibiotika und Fischmehl. Du solltest ein wenig besser auf deine Gesundheit achten.«
    Der Parkplatz vor dem Haus war nur schwach beleuchtet und angesichts der Semesterferien beinahe verwaist. Ein Peugeot aus Frankreich und ein polnischer Opel, dazu der Streifenwagen ihrer Ablösung, ihr eigenes zivil aussehendes Fahrzeug, ein Moped – und ein

Weitere Kostenlose Bücher