Achsenbruch
könnten wir sofort an die Arbeit gehen. Aber ohne Dope no Hope.«
»Zumindest dein Englisch ist genial«, bemerkte Kalle, wartete aber mit der Chefin geduldig ab, bis der Bärtige die Kippe ausgetreten hatte. Gemächlich folgte Mager den beiden in Richtung Kanzlei, wo er nicht mehr als eine hilflos heulende Sekretärin erwartete. Und auf Weibertränen hatte er nach dem Streit mit Karin einfach keinen Bock.
Diese Zeitverzögerung erwies sich als journalistischer Glücksfall. Denn kaum hatte das Trio den Hinterhof des Rathauses verlassen, rasten mehrere schwere Limousinen mit zivilen Kennzeichen an ihnen vorbei. Vor Beißners Wirkungsstätte bremsten die Fahrer scharf ab und lenkten ihre Kutschen halb auf den schmalen Bürgersteig. Bevor die Wagentüren aufgestoßen wurden, hatte Mager die Insassen identifiziert: »Bullen.«
»Kamera!«, zischte Susanne.
Dieses Kommando erwies sich als überflüssig. In Krisensituationen reagierte Mager immer noch so schnell wie ein beißwütiger Hofhund, den man endlich von der Kette ließ. In Sekunden erfasste der Sucher seiner Sony die Truppe, die sich vor der Haustür versammelte: sechs gut gekleidete Herren diversen Alters und eine hoch aufgeschossene Blondine in Pumps, die geduldig zusah, wie einer ihrer Knechte den Klingelknopf bearbeitete. Zehn, höchstens fünfzehn Sekunden später verschwand die Gruppe im Haus.
»Und jetzt?«
»Friedhof!«, kommandierte Susanne. Im Laufschritt ging es zurück. Magers Lungen pfiffen und seine Knie schmerzten. Ewig würde er das nicht mehr aushalten, aber er kämpfte sich verbissen durch. Bald versperrte ihnen die Turnhalle den Weg, die von einem längst abgerissenen Mädchengymnasium übrig geblieben war. Am linken Ende gab es einen Durchgang zu einem weiteren Parkplatz, der sich auf dem ehemaligen Schulgelände erstreckte. Er führte auch zu jenem kleinen Friedhof, der Mager bestens bekannt war.
»Komm!«
Keuchend verschwand Mager zwischen Grabsteinen und Koniferen und lief auf die südliche Begrenzungsmauer zu: »Hühnerleiter!«
Mit gequältem Grinsen drückte sich Kalle mit dem Rücken gegen die Mauer und faltete die Hände mit den Innenflächen nach oben. Mager setzte einen Fuß in diese improvisierte Treppenstufe, griff mit der freien Hand nach der Oberkante des Gemäuers und suchte mit dem anderen Fuß nach einer weiteren Stütze. Der pompöse Grabstein der lieben Hermine Waldenburg-Sokolow wäre hoch genug gewesen, aber leider einen halben Meter zu weit entfernt. Mager hoffte nur, dass der Sohn sein Gewicht allein aushielt, und zog sich mit aller Kraft hoch.
Kalle ächzte, aber seine Hände lösten sich nicht: »Und?«
»Wunderbar!«
Auf Magers Sichthöhe lagen die Terrasse, die in Beißners Hof führte, und die breiten Fenster, hinter denen der Schreibtisch des Toten stand. Im Normalfall hätte man, das Sonnenlicht in den Augen, nichts von dem sehen können, was sich in dem nach Norden gelegenen Raum abspielte. Aber Dorns Truppe hatte alle Lampen angeknipst, um besser arbeiten zu können. Die Bundesanwältin selbst lehnte wie ein Obelisk mit dem Rücken an der Balkontür und sah zu, wie ihre Männer den Raum filzten. Sie taten das mit einer Gründlichkeit, als sollte die Einrichtung anschließend zu Kaminholz verarbeitet werden.
»Kamera!«
Susanne reichte die Sony hoch. Mager brachte sie mit einer Hand in Position und schaltete sie per Daumendruck ein. Eine Minute lang hielt er durch, dann sprang er wieder nach unten. Fast wäre er dabei auf dem schönen Grabstein mit dem Doppelnamen gelandet.
»Hast du was Brauchbares?«, fragte Kalle, während er die schmerzenden Hände ausschüttelte.
»Müsste reichen. Oder sollen wir so lange warten, bis die Bullen uns entdecken?«
Susanne schüttelte den Kopf und nahm die Kamera, ließ die Aufnahme zurücklaufen, um sich die Sequenz anzuschauen. Ideal war der Clip nicht, aber er würde reichen, um das Zerstörungswerk zu dokumentieren.
»Und jetzt?«, fragte Kalle.
»Wir warten bis sie weg sind. Und dann gehen wir rein!«
Das PEGASUS-Team wurde mit diesem Vorhaben auf eine harte Probe gestellt. Es dauerte fast zwei Stunden, bis Dorns Truppe die Kanzlei verließ. Mager gelang mit dem Zoom noch eine schöne Aufnahme, die zeigte, wie die Männer mehrere Stapel Ordner aus dem Haus trugen und in ihren Wagen verstauten – die Gesichter waren bei den sommerlichen Temperaturen schweißbedeckt. Dann wurden die Wagentüren zugeknallt und der Konvoi verschwand in Richtung
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