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Achsenbruch

Achsenbruch

Titel: Achsenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Junge
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noch mal den Catering-Service kontaktiert? Ich möchte sicher sein …«
    »Alles erledigt. Die Leute kommen um Punkt achtzehn Uhr zu Ihnen ins Haus.«
    »Und die Putzkolonne ist bis dahin fertig?«
    »Selbstverständlich.«
    »Okay. Ich möchte, dass unsere jüdischen Gäste bestens bewirtet werden. Zur Steuergruppe: Haben die Herren noch Themenwünsche angemeldet?«
    »Bis jetzt nicht.«
    »Gut.«
    »Nur …«
    »Ja?«
    Hiltrud Ehlers deutete auf einen dünnen roten Schnellhefter, der unter der Postmappe lag: »Sie wollten doch diese Bauamtssache zur Sprache bringen!«
    Ja, Potthoff, dieser Idiot, dachte die Oberbürgermeisterin. Wurde Zeit, Klartext zu reden. Aber ausgerechnet heute?
    »Das passt zeitlich nicht mehr. Das machen wir nächste Woche in aller Ruhe.«
    Die Sekretärin nickte und ließ ihre Chefin allein in deren Büro.
    Sonnenschein setzte sich und öffnete die Mappe mit den Unterlagen für die Runde mit den Wahlbeamten und Amtsleitern. Eigentlich war diese Truppe ihr Generalstab, ohne den nichts lief – aber der neumodische Begriff Steuergruppe hörte sich gleich viel demokratischer an.
    Die Telefonanlage blinkte auf und die OB drückte die Sprechtaste: »Ja?«
    »Frau Sonnenschein, die Vorsitzende des Personalrats. Es sei dringend.«
    Sonnenschein blickte auf die Uhr. Wenn Otters mit dem Hinweis ›dringend‹ kam, gab es Probleme. Und die Frau war zäh.
    »Fünf Minuten. Mehr kann ich ihr jetzt nicht geben.«
    Eine Frau Mitte vierzig kam herein, bunte Bluse, Jeans, Ledersandalen, ein wenig abgehetzt. Als Hausmeisterin eines Gymnasiums hatte sie längst alle falsche Ehrfurcht vor echten oder eingebildeten Autoritäten verloren. Dementsprechend forsch trat sie auf.
    »Morgen, Frau Otters. Wo brennt’s?«
    »Morgen!« Die Personalratsfrau legte als Antwort ein paar Blatt Papier auf den Tisch, eng beschrieben, mit dem Kopiervermerk der Stadt versehen. »Die Personalabteilung will jetzt doch die letzten Reinigungsdienste privatisieren. Hier das neueste Rechenmodell.«
    Sonnenschein nahm die Blätter, überflog sie, prüfte das Datum, hob fragend beide Augenbrauen. »Wie sind Sie denn daran gekommen?«
    »Dienstgeheimnis«, erwiderte Otters und lächelte. »Aber Fakt ist: Die Sache ist echt. Und Sie haben dem Personalrat versprochen, diese Pläne zu stoppen!«
    Die OB nickte zustimmend. Solange die Bezirksregierung der Stadt keine neue Einsparung befahl, wollten Rat und Verwaltung auf weitere Privatisierungen verzichten.
    »Ich weiß gar nicht, warum Herr Vandrey schon wieder rechnet«, überlegte Sonnenschein laut.
    »Kann ich Ihnen sagen«, kam es prompt zurück. »Eine der vier großen Reinigungsfirmen gehört seinem Schwager, eine zweite seiner Cousine. Muss ich noch mehr erläutern?«
    Verdammter Filz. Unausrottbar. Und in einer Großstadt wie Bochum konnte sie nicht alles selbst kontrollieren. »Verstehe. Ich gehe der Sache nach. Und solange Arnsberg uns nicht dazu zwingt …«
    »Danke.«
    Die Tür hatte sich noch nicht hinter der Personalratsvorsitzenden geschlossen, da vertiefte sich die OB wieder in die Akten und nahm sich das Rechtsgutachten zum Anschluss der Stadtautobahn an die A 40 vor. Das Projekt war älter als die Hälfte der Bochumer Bürger, aber ein einziger findiger Rechtsanwalt hatte jeden Fehler der Verwaltung gnadenlos ausgenutzt und den Verkehrsplanern immer wieder in die Suppe gespuckt. Als sie noch nicht OB war, hatte ihr der Typ in gewissem Sinne sogar imponiert – aber inzwischen zeugten endlose Staus am Ende des Donezk-Rings davon, dass man das Teil fertig bauen musste. Leider saßen im Planungsamt noch dieselben Vierer-Juristen wie damals.
    Zehn Minuten später hatten sich die Dezernenten und Amtschefs – allesamt Männer – sowie Sonnenscheins Stellvertreterin versammelt. Lina Tenberge war mit achtunddreißig die jüngste der drei Bürgermeisterinnen. Kühl und entschlossen, aber nicht ohne Reize. Mit ihrem faltenlosen Antlitz und der makellosen Figur wäre sie all den jungen Hühnern, die sich um den Titel Germany’s Next Topmodel bewarben, eine heiße Konkurrentin gewesen und zog nicht nur im Rathaus so manch neidischen oder sehnsüchtigen Blick auf sich.
    Tenberge gehörte zu den drei Frauen, die der OB zur Seite stehen sollten, und war die einzige aus derselben Partei wie die First Lady. Nach alter Bochumer Sitte wurde nämlich auch die schwarze Opposition stets mit einem Bürgermeisteramt bedacht, und seit die Bunten als Koalitionspartner gebraucht wurden,

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