Achsenbruch
Sender?«, wollte Mager wissen.
»Maria meinte, mit etwas Glück kommen wir heute in die Tagesschau! «
»Beachtlich«, konstatierte Mager, ohne wirklich daran zu glauben. Sie hatten es in roter Vorzeit zwar mehrfach in die Aktuelle Kamera des DDR-Fernsehens geschafft, aber in die Tagesschau erst ein einziges Mal – und das nur für Sekunden. Vielleicht nehmen die ja jetzt einen ganzen Bericht? Wäre richtig gut, dachte er und versuchte auszurechnen, wie sich das auf die Firmenkonten auswirken würde. »Auch wenn’s nicht klappt: Von mir aus können die Bochumer jede Woche einen von ihren Promis in die Luft jagen.«
5
Kriminalhauptkommissar Horst Lohkamp begann auch diesen Montag mit einer Kulthandlung, die er seit dem Frühjahr jeden Morgen mit wachsendem Genuss vollzog: Noch im Schlafanzug trat er an den großen Kalender, der in der Küche hing, und ergänzte seinen persönlichen Countdown um eine weitere Zahl. Begonnen hatte er mit vierhundertvierundzwanzig, aber jetzt …
»Zweihundertzwanzig«, verkündete er seiner Gattin, während er sich ein Tässchen koffeinfreien Kaffee einschüttete. »Wenn man die Wochenenden, den Urlaub und den Freizeitausgleich abzieht, habe ich allerhöchstens noch hundert Tage zu arbeiten.«
»Freie Wochenenden? Urlaubsausgleich? Und wovon träumst du nachts?«
»Von dir, Liebste«, versicherte er und begab sich auf den Balkon seiner Eigentumswohnung, die in einem der schöneren Viertel von Recklinghausen lag.
»Zieh dir doch wenigstens den Morgenmantel über«, empfahl ihm die Gattin. »Muss doch nicht jeder sehen, dass du noch im Schlafanzug deinen Kaffee trinkst.«
»Ach Gabi«, sagte er und ließ sich ächzend in einem der bequemen Liegestühle nieder. »Erstens wohnen wir im zweiten Stock, da sieht mich sowieso keiner. Zweitens habe ich Urlaub. Und was die Leute an der Nordseestraße über mich denken, ist mir schon seit vielen Jahren egal.«
»Aber mir ist nicht egal, was sie über mich denken!«
»Häng doch ein Plakat ans Fenster«, grinste er und hob die Kaffeetasse. » Horst soll sich anziehen, hört aber nicht auf mich. Dann bist du aus dem Schneider.«
Er kicherte, legte die Beine hoch und schlug die Zeitung auf, um sich den Vorberichten über die neue Bundesligasaison zu widmen. Doch er kam nicht über die Überschriften hinaus. Drinnen schlug das Telefon an, und Sekunden später erschien Gabi, um ihm den Hörer zu reichen.
»Bochum. Der Präsident will dich sprechen«, raunte sie. »Bist du da?«
»Wo soll ich sonst sein?«
»Ich könnte sagen, du bist gerade mit dem Hund raus.«
»Aber wir haben doch …«
»Das weiß Flenner doch nicht!«
Lohkamp sah seine Frau einen Augenblick sprachlos an. Dann sagte er: »Ach Gabi, jetzt weiß ich wieder, warum ich dich geheiratet habe. Nein, gib ruhig her!«
Er setzte die Stummschaltung außer Funktion und meldete sich.
»Kunkol hier, guten Morgen!«, flötete die Vorzimmerdame. »Der Herr Polizeipräsident möchte Sie sprechen. Momeeentchen, ich stelle duarch!« Drei Takte des Bochumer Jungenliedes ertönten, dann war der Chef selbst dran: »Morgen, Herr Lohkamp. Die WM gut überstanden?«
»Danke, ja. Der Objektschutz an den WM-Hotels war wunderbar. Und meine Enkelin freut sich über die vielen Autogramme.«
»Sehen Sie, so schön kann unsere Arbeit sein. Hat ja auch alles geklappt, unsere Polizei kann sich sehen lassen.«
Komm, dachte Lohkamp, erzähl mir, was du wirklich willst! Und Flenner tat ihm den Gefallen: »Aber jetzt ist die Kacke am Dampfen, wie man hier im Ruhrpott sagt.«
Angeber, dachte Lohkamp. Er selbst stammte aus Wanne-Eickel, aber der Präses war irgendwo im wilden Ostwestfalen geboren, wo es noch Dorfmeisterschaften im Baumstammsägen gab. Doch dann hörte er genau zu, was Flenner ihm von der Explosion im Bochumer Süden zu erzählen hatte.
»Schlimm«, sagte Lohkamp. »Aber was habe ich damit zu tun?«
»Ich brauche Sie für die Sonderkommission.«
Der Hauptkommissar schluckte. Die letzte Dienststelle, an die ihn Flenner geschickt hatte, war die Polizeiinspektion in Bochum-Wattenscheid gewesen – ein Ort, an dem gescheiterte Karrieren endeten. Sollte er nun, auf seine alten Tage, noch nach Bagdad?
»Wie Sie sich vielleicht erinnern«, wandte Lohkamp ein, »haben Sie mich vor zwei Jahren zur besonderen Verfügung des Innenministeriums freigestellt.«
»Ich weiß, ich weiß. Sie haben da ja auch ein paar aufsehenerregende Erfolge erzielt. Aber ich habe mich schon mit
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