Acht cropped
Schlaf.
16
In den letzten acht Jahren durfte Marc am eigenen Leibe die ganze Bandbreite von menschlichen Emotionen in seinen Beziehungen mit Männern erleben, doch noch nie hatte er sich von jemandem so angewidert gefühlt wie jetzt von Andreas. Ausgerechnet von dem Menschen, den er über Jahre hinweg geliebt, vergöttert und auf ein hohes Podest gestellt hatte und der die ganze Zeit lang unantastbar zu sein schien.
Marc hatte keinen entschuldigenden Gedanken mehr für seine ehemals große Liebe übrig. Wut, Enttäuschung und Ekel hatten all das Schöne abgelöst, was ihn vorher mit Andreas verbunden hatte.
Viel zu schnell und mit extrem lauter Rockmusik fuhr Marc die vertraute Strecke von der Arbeit in seine alte Heimat, dem Sauerland. Vorbei an dem Hotel, in dem er so manche Stunde in trauter Zweisamkeit mit Andreas verbracht hatte. Nie wieder würde das passieren. Und das war gut so.
Sein Gefühlsleben hatte seit einiger Zeit auch Einfluss auf seine Arbeit gehabt. Immer häufiger wirkte Marc im Schulalltag unkonzentriert und gereizt, sodass es kein Wunder für ihn war, als seine Rektorin ihn nach der letzten Stunde zu sich ins Büro gerufen hatte. Sie hatte ihm klargemacht, dass er an seiner Arbeitshaltung etwas tun müsse. Die ersten Kolleginnen und Eltern hätten sich bereits über ihn beschwert.
Ein Grund mehr für ihn, einige wichtige Dinge in seinem Leben zu verändern. Abzuschließen mit dem ganzen Dreck und Gefühlsduselei, der ihn die letzten Wochen von den wesentlichen Dingen des Lebens abgehalten hatte. War er tatsächlich wie in Trance durchs Leben gegangen? Wie konnte er so blind sein, Andreas wahre Hintergedanken nicht zu bemerken? Alleine die Fotos im Internet hätten ihm die Augen öffnen müssen über seinen ach so gefühlvollen Liebhaber.
„Diese notgeile, perverse Sau !« , schrie er die Windschutzscheibe an. Es machte ihn alles nur noch rasend. Welch großes Glück er hatte, dass Daniel ihm überhaupt noch in die Augen sah. Dass seine Chefin ihn rügte und Beschwerden über ihn eintrafen. Dass Frau Kellermann mit diesen widerlichen Aufnahmen konfrontiert wurde. Dass Cordula recht hatte mit ihrem Bild von Andreas.
Cordula. Wie er sie vermisste. Wie gut hätte er jetzt ihren Rat gebraucht. Ein Ohr zum Zuhören, denn mit wem sonst sollte er über all die Erlebnisse der letzten Wochen reden? Er hatte außer Daniel niemanden, der ihn in den Arm nehmen konnte; und ihm gegenüber hatte er ein so schlechtes Gewissen, dass er bestimmt noch Monate brauchen würde, um wieder vollkommen unbefangen mit ihm umgehen zu können.
Nein, er würde nach diesem Tag alles hinter sich lassen, um einen kompletten Neustart hinlegen zu können. Er hatte seine Lektion gelernt.
Angelika Kellermann empfing Marc so kühl wie nie zuvor. Sie kannten sich seit fast zwanzig Jahren, und stets hatte er Cordulas Mutter als ausgesprochen warmherzige, liebe Person erfahren. Doch ihm blieb der kalte, fast schon angewiderte Ausdruck in ihren Augen nicht verborgen, als sie ihm die Tür öffnete und ihn ins Wohnzimmer führte.
Ohne Umschweife kam sie direkt zur Sache. „Das hier sind die Fotos, von denen ich gesprochen habe .« Sie deutete auf einen großen hellbraunen Briefumschlag, der vor ihnen auf dem Tisch lag. »Du kannst dir meine Überraschung vorstellen, als ich die Aufnahmen beim Aufräumen in Cordulas Zimmer fand. Sie hatte sie zusammen mit einigen anderen Geheimnissen in eine Schatulle geschlossen .«
„Darf ich...", zögernd griff Marc zum Umschlag, während Frau Kellermann fortfuhr: „Oh, du musst sogar. Solche Aufnahmen von dir hast du wahrscheinlich noch nicht bestaunen können. Es sei denn, du stehst darauf, beim Sex gefilmt zu werden .«
Marc sah sie brüskiert an.
„Tut mir leid, wenn ich dir zu nahe trete. Aber ich will dir jetzt mal was sagen: Bis letzte Woche habe ich dich für einen wunderbaren jungen Mann gehalten. Dass du schwul bist, hat mich nie gestört, schließlich warst du über all die Jahre ein guter Freund für Cordula und bist auch mir immer hilfsbereit und höflich begegnet. Deshalb will es mir einfach nicht in den Kopf, warum du diese schmutzigen, perversen Fotos mit deinem Kollegen von der Feuerwehr hast machen lassen. Du bist doch mit Daniel glücklich! Zumindest habe ich das geglaubt. Und warum hast du Cordula diese Aufnahmen gegeben? Sollte sie sich auch daran ergötzen? Oder für irgendwelche Zwecke verwahren? Marc, ihr wolltet doch nicht den Andreas mit den Bildern
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