Acht Tage im August
beherrschten die unverputzten Wände, die Deckenbalken waren im ursprünglichen Zustand belassen worden. Geld und Geschmack waren hier eine selten gewordene Synthese eingegangen, stellte er fest.
Claudia Friese kam aus der Küche zurück, verteilte dicke Teehaferl auf dem Tisch, schenkte ein und setzte sich ihnen gegenüber.
»Gibt es etwas Neues?«
Hammer antwortete ihr: »Zunächst einmal kann ich Ihnen mitteilen, dass Annas Leiche von der Gerichtsmedizin freigegeben worden ist. Sie können sie bestatten.«
»Und sonst?«
»Wir sind nach allem, was wir wissen, sicher, dass es Selbstmord war. Alles deutet darauf hin. Allerdings haben wir keinerlei Hinweis darauf, warum Ihre Tochter sich das Leben genommen hat.«
Walter Friese kam die Treppe herunter.
»Wie ich schon gestern gesagt habe«, betonte er, »haben wir keine Ahnung, was sie dazu getrieben haben könnte.«
»Gab’s vielleicht Streit, hatte sie Probleme in der Schule?«
»Ja, Anna und ich hatten einige Differenzen«, erklärte Claudia Friese, »sie hat sich von mir nichts mehr sagen lassen, aber da war nichts Schlimmes. Und die Schule hat sie mit links gemacht.«
»Und ihr Freund? Hatte sie vielleicht Streit mit ihm, Liebeskummer?«
»Anna hatte keinen Freund«, warf Walter Friese ein, »sie war 16!« Er sah zu seiner Frau hin. »Oder weißt du was von einem Freund?«
»Mir hätte sie davon doch nie was gesagt. Du warst doch ihr Vertrauter, sie hing doch ständig an dir wie eine Klette.«
Assauer spürte den Vorwurf in den Worten der Frau. Eifersucht der Mutter auf die Tochter?
»Sie muss aber einen Freund gehabt haben«, beharrte Hammer. »Mit sechzehn ist ein Mädchen dafür ja nicht zu jung und außerdem hatte sie laut unserer Gerichtsmedizinerin schon häufiger Geschlechtsverkehr. Wohl noch an ihrem letzten Tag.«
Assauer sah, wie diese Worte mit Wucht bei Annas Eltern einschlugen.
Claudia Friese fand als Erste ihre Sprache wieder. »Finden Sie ihn, ich will wissen, mit wem Anna zusammen war. Wenn er sie auf dem Gewissen hat …« Sie führte den Satz nicht zu Ende.
»Können wir uns in Annas Zimmer umsehen?«, fragte Hammer. Sie muss ja mit ihrem Freund kommuniziert haben, Handy, SMS, E-Mail, Facebook, Briefe, Zettel. Da muss auf alle Fälle was zu finden sein.«
»Ich gehe voraus«, entschied Claudia Friese, stand auf, schob sich grob an ihrem Mann vorbei, ging die Treppe hinauf und führte Hammer und Assauer, die ihr folgten, zu Annas Zimmer.
»Lassen Sie sich Zeit«, forderte sie die beiden Ermittler auf, als sie ihnen die Tür öffnete, »ich bin unten.«
»Dicke Luft«, raunte Assauer Hammer zu, als sie weg war.
»Da brodelt was zwischen den beiden«, stimmte Hammer zu.
Sie fingen an, Annas Zimmer methodisch und routiniert zu durchforsten, wühlten sich durch aufgetürmte Kleiderberge, Schulbücher und zahllose Notenhefte, kippten den Papierkorb aus, blätterten durch Schulpapiere, durch Stapel von Computermagazinen, wie sie sie in einem Mädchenzimmer nicht erwartet hätten, gingen Annas wilde Zettelwirtschaft durch, kramten sich durch ihren Schreibtisch, untersuchten Schachteln und Kartons, Annas Schrank und schließlich auch das kleine Bad, das an den Raum anschloss. Sie fanden – nichts. Keine Notiz von einer Verabredung, keinen hingekritzelten Namen, kein Foto, rein gar nichts. Nicht einen klitzekleinen Hinweis auf Annas Freund. Allerdings hatten die wichtigsten Objekte ihrem Untersuchungseifer widerstanden: Annas Laptop und das Handy. Der Laptop war passwortgeschützt, für das Handy fehlte ihnen die PIN. Sie würden beides mitnehmen und Bert auf den Schreibtisch legen. Der war bekennender Computer-Fetischist und ein Trüffelschwein für die Spurensuche zwischen Bits und Bytes. Hammer erinnerte sich, wie ein Verdächtiger vergangenes Jahr blass geworden war, als er ihm den Ausdruck seiner verschlüsselten E-Mail-Korrespondenz im Klartext auf den Tisch geknallt hatte. Dabei hatte der Kerl geprahlt, sie würden den Code in hundert Jahren nicht knacken, sein Passwort sei nämlich ›länger als sein Schwanz‹. Bert hatte gerade mal einen Vormittag gebraucht, um diesen Gordischen Knoten zu durchschlagen, und mit rotem Marker quer über den Ausdruck geschrieben: ›Er ist kürzer, als du denkst!‹
»Wir müssten die hier mitnehmen«, erklärte Hammer folglich Annas Eltern, die im Wohnzimmer beim Tee saßen, und hielt ihnen die beiden Geräte hin.
»In Ordnung«, stimmte Claudia Friese zu. »Nehmen Sie alles mit, was
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