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Acht Tage im August

Acht Tage im August

Titel: Acht Tage im August Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Winter
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zwar Spekulation, aber man könnte es so interpretieren.‹
    PG: ›Es kann also auf Gewalt oder Missbrauch im familiären Umfeld hindeuten?‹
    KW: ›Ein solcher Hintergrund ist nicht auszuschließen, die meisten Missbrauchsfälle geschehen bekanntlich in der Familie.‹
    PG: ›Annas Verhältnis zu ihrer Mutter war, wie es heißt, eher distanziert, das zu ihrem Vater war sehr intensiv. Weist das vielleicht auf eine Art Abhängigkeit hin?‹
    KW: ›Worauf wollen Sie hinaus?‹
    PG: ›Könnte da eventuell sogar eine sexuelle Hörigkeit vorhanden gewesen sein?‹
    KW: ›Wenn, dann nur eine Missbrauchssituation. Das muss man ganz klar sehen. Opfer sind da oft unfähig auszubrechen, sich zu offenbaren. Das unmittelbare Umfeld ist häufig blind.‹
    PG: ›Die Mutter war bei Annas Tod weit weg in Hannover auf einer Messe, der Vater mit der Tochter allein auf dem Hof. Nur die Haushälterin war tagsüber zugegen. Könnte die Situation da so eskaliert sein, dass Anna den einzigen Ausweg im Tod sah?‹
    KW: ›Wenn wir von einer Missbrauchssituation ausgehen, ich betone, wenn , dann könnte das in der Tat so gewesen sein. Wir wissen es nicht.‹
    PG: ›Wir danken für das Gespräch.‹
    Grimm hatte sämtliche Register gezogen und doch mit seinen Formulierungen alles offengelassen. Man konnte ja nie wissen. Was die Leser hineininterpretierten, lag nicht in seiner Verantwortung.
    Claudia Friese zitterte am ganzen Körper. Eis statt Blut rann durch ihre Adern. War sie so blind gewesen?
    Sie hörte, wie ihr Mann sich nebenan an den Frühstückstisch setzte. Langsam, wie um ihre Bewegungsfähigkeit zu testen, schlug sie die Zeitung wieder zu, wandte sich um, ging zu ihm hinüber und warf ihm die Zeitung auf den Teller.
    »Wage es nicht, bei Annas Beerdigung aufzutauchen!«, zischte sie.
    Minuten später rauschte sie mit ihrem BMW Richtung München. Dort im Nobelviertel Altbogenhausen lebten ihre Eltern. Der Vater hatte sich vor Jahren zu Ruhe gesetzt, war aber noch immer Teilhaber der von ihm mitbegründeten Anwaltskanzlei Hochstedter, Ellmann & Partner, der zweitgrößten der Landeshauptstadt. Er würde wissen, was zu tun war.

    ***

    800 Meter Luftlinie entfernt vom Hof der Frieses, las an diesem Dienstagmorgen auch Pfarrer Arnsberger Grimms Artikel. Der Skandal, der sich, wie darin zu lesen war, um die Familie anbahnte, war ihm nur allzu willkommen. Er hätte die Eltern des Mädchens, das seine Kirche so skandalös entweiht hatte, gern aus dem Ort gehabt. Er wollte ihnen nicht mehr begegnen müssen. Nichts und niemand sollte ihn mehr an Anna erinnern. Wenn es nach ihm ginge, konnten Professor Friese und seine Frau lieber heute als morgen aus Rasting verschwinden.
    Warum nicht ein wenig Öl ins Feuer gießen, fragte er sich. Er griff zum Telefon, legte dann aber wieder auf und beschloss, das Gespräch lieber persönlich zu führen.
    Bald darauf marschierte er, die Zeitung unterm Arm, über die Hauptstraße Rastings, grüßte nach rechts und links und bog schließlich in den Eiterer Hof ein. Eiterer, mit dem er nicht nur den Vornamen, Sebastian, sondern auch eine tief verwurzelte erzkonservative Gesinnung teilte, war der Bürgermeister der Gemeinde. Der Dritte der Eiterer-Dynastie, der, wie Großvater und Vater vor ihm, Rastings Steuer eisern im Griff hielt. Seine Familie hatte die Gemeinde durch mannigfaltige Fährnisse, sogar durch die Stürme der Gebietsreform, gelenkt, ihre Unabhängigkeit zäh verteidigt und erfolgreich das Gemeinwohl befördert – vor allem aber ihr eigenes.
    Gegenkandidaten bei Bürgermeisterwahlen wurden nicht einmal mit dem Fernrohr gesichtet. Keiner der von den Eiterers geschickt in wirtschaftliche Abhängigkeit manövrierten Rastinger hätte sich getraut. Man nahm die Eiterers als Bürgermeister von Gottes Gnaden hin. Die pflegten denn auch eine harmonische Interessengemeinschaft mit der örtlichen Geistlichkeit, derzeit mit Pfarrer Arnsberger. Geld und Kirche gehörten nun einmal zusammen, das war ein Naturgesetz wie die Schwerkraft.
    Eiterer schraubte eben an einem riesigen Fendt-Traktor, als er Arnsberger kommen sah. »Hochwürden«, rief er erfreut, »so fängt der Tag gut an. Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs so früh am Morgen?«
    »Wir müssen reden«, antwortete der Ankömmling.
    »Am besten bei einem ausgiebigen Frühstück«, schlug Eiterer vor und ließ den Schraubenschlüssel scheppernd in die Werkzeugkiste fallen.
    Arnsberger willigte erfreut ein, deshalb hatte er ja den

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