Acht Tage im August
ihren Vater vergöttert. Wenn Sie erlebt hätten, wie die zwei miteinander Musik gemacht haben! Einfach himmlisch. Annas Selbstmord hat ihn völlig aus der Bahn geworfen. Und dazu noch die anderen Sachen.«
»Welche anderen Sachen?« hakte Assauer nach.
»Seine Frau gibt ihm die Schuld an Annas Tod. Sie lässt sich scheiden und ihn aus dem Haus werfen und die Bank hat ihm alle Kredite gekündigt. Warten Sie, ich zeig’s Ihnen.«
Die Haushälterin ging zur Anrichte, nahm die zwei Briefe, die sie im Esszimmer gefunden hatte, und hielt sie Assauer hin. Hammer schaute ihm über die Schulter, während er las, und pfiff leise durch die Zähne.
»Dem geht’s nass rein«, kommentierte er, was da stand.
»Das kannst du laut sagen«, bestätigte Assauer.
»Das geht beides auf’s Konto von der Gerstmann und diesem Schmierfinken!«, schimpfte Hammer.
»Ich weiß.« Assauer nickte resigniert. »Wir müssen unbedingt mit Ihrem Chef reden«, sagte er dann zu der Haushälterin und gab ihr die Briefe zurück.
»Vielleicht ist er in seiner Praxis, schauen Sie dort doch mal nach«, schlug Martina Donabaur vor.
Zurück in Passau, fanden sie an der Praxis aber nur das Schild, dass für diese Woche geschlossen sei. Die Jalousien im ersten Stock waren zu und durch ihre Spalten war kein Licht zu sehen. Professor Frieses Handy war abgeschaltet. Auf ihr Klingeln reagierte niemand. Sie beschlossen, es gut sein zu lassen. Er würde schon wieder auftauchen. Zu übersehen war er ja nicht.
***
Walter Friese hatte an Annas Grab im Augenwinkel wahrgenommen, dass jemand ein Teleobjektiv auf ihn richtete, als er ein paar Augenblicke für sich und seine Tochter allein zu haben hoffte. Nicht einmal ein kurzer, ungestörter Abschied war ihm vergönnt.
Der Geruch der frischen Erde, die Annas Grab bedeckte, machte ihm den unwiderruflichen Verlust seiner Tochter endgültig bewusst. Sie lag hier. Er würde sie nie wieder sehen, nie wieder mit ihr am Klavier sitzen, nie wieder mit ihr lachen, nie wieder von ihr mit Fragen bombardiert werden, nie wieder die innige Harmonie fühlen, die zwischen ihnen geherrscht hatte. Nie wieder. Anna war tot!
Rasch, um nicht länger ein Ziel für den Mann mit der Kamera abzugeben, war er zum Wagen gegangen, direkt zurück in seine Tiefgarage gefahren, hatte den Lift in den ersten Stock genommen und war ungesehen in seiner Praxis verschwunden. Die Jalousien ließ er herunter. Licht machte er keins. Nur eine Kerze zündete er an, stellte sie neben Annas Bild auf seinem Schreibtisch, starrte in die Flamme. Er spürte die Schlinge wieder, die sich um ihn zusammenzog. Wie sollte es weitergehen? Seine Augen verharrten auf der Flamme. Leere drängte sich in ihn.
Als die Kerze heruntergebrannt war, befeuchtete Walter Friese Daumen und Zeigefinger an der Zunge, zerdrückte die Flamme, ging hinüber in den Behandlungsraum, sperrte das Schränkchen mit den Betäubungsmitteln auf, nahm einige Ampullen heraus, zog eine Spritze auf, schnürte den linken Arm ab, ballte die linke Hand zur Faust und injizierte sich die Flüssigkeit in die Vene.
Donnerstag
Der Krankenwagen preschte mit Sirene und Blaulicht durch die Passauer Innenstadt. Hinten im Wagen kämpften ein Notarzt und zwei Sanitäter darum, ein Mädchen wieder zurück ins Bewusstsein zu holen. Drogen! Der Anruf war um 03:48 Uhr eingegangen. Ein Zeitungsausträger hatte sie auf der Straße liegend gefunden, Polizei und Notarzt verständigt. Bei Ankunft im Klinikum, als die Sanitäter sie eben aus dem Wagen schoben, hatten die Wiederbelebungs-Maßnahmen Erfolg. Das Mädchen öffnete die Augen, setzte sich ruckartig auf und kotzte ihren gesamten Mageninhalt in einem dicken Strahl direkt in die offene Notarzttasche. Dann erschlaffte sie ebenso plötzlich und kippte wieder zurück.
»Verdammte Sauerei«, brüllte der Notarzt, der auch etwas abgekriegt hatte, »das da ist ein Sanka und kein Vomitorium 7 !« Dann wies er einen herbeigeeilten Kollegen aus dem Klinikum an: »Magen auspumpen könnt’s Euch jetzt schenken. Schaut’s, dass ihren Kreislauf stabil kriegt’s und lasst’s das Mädchen schlafen. Und analysiert’s mir das Zeug in meiner Tasche. Ich will wissen, was die eingeworfen hat. Und jetzt brauch i erstmal an Kaffee … und a neue Tasch’n … und an neuen Kittel … und was zum Schuh’ abwisch’n!«
Die Sanitäter verkniffen sich nur mit Mühe das Lachen.
»Saustall, elendiger!«, hörten sie ihn noch schimpfen, bevor die Kliniktür sich
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