Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut
Schluss. Generell ist die Deutung von Korrelation bei Zeitreihen (also zum Beispiel bei täglich, monatlich, jährlich gemessenen Größen) eine schwierige Angelegenheit. Sofern zwei untersuchte Zeitreihen auch nur irgendeinen zeitlichen Trend mit annähernd linearen Komponenten aufweisen, was bei vielen realen Zeitreihen der Fall ist, sind sie dadurch ganz automatisch entweder positiv oder negativ miteinander korreliert.
Die Sache mit den Störchen und den Babys ist ein offensichtliches Fallbeispiel dafür, dass hohe Korrelation ohne Kausalbeziehung möglich ist. Das ist ganz ähnlich bei der Entwicklung der Schnapspreise und der Pastorengehälter. Auch die sind stark positiv miteinander korreliert. Dahinter stehen als Drittvariable die allgemeine Inflationsentwicklung und die damit verbundeneAnpassung der Löhne und Gehälter nebst gleichzeitigem Anstieg der Preise, unter anderem für Schnaps.
Die Gefahr besteht immer, dass es sich bei einer festgestellten Korrelation um eine Scheinkausalität handelt. Ein stark überzeichnetes, aber dadurch pädagogisch wirksames Beispiel soll dieses Kapitel beschließen: Das Merkmal, mit Schuhen an den Füßen zu schlafen, ist besonders stark korreliert mit dem Merkmal, am darauffolgenden Morgen mit Kopfschmerzen zu erwachen. Aber die Schuhe an den Füßen beim Schlafen verursachen keine Kopfschmerzen. Eine plausiblere Erklärung ist vielmehr, dass es eine versteckte Ursache gibt, die für beides verantwortlich ist – mit den Schuhen ins Bett zu steigen und mit Kopfschmerzen am nächsten Morgen aufzuwachen: übermäßiger Alkoholkonsum.
Allzweckwaffe
Mit Statistik kann man alles beweisen, sogar die Wahrheit. Also bin ich für Statistik.
Marcel Reich-Ranicki
10. Wenn mehr Wählerstimmen weniger Sitze für eine Partei bedeuten
Wählerzuwachs-Paradoxa
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Wahlen im Sinne der Politikwissenschaft sind formalisierte Prozesse, bei denen eine Gruppe von Wählern aus einem Pool von Alternativen auswählt. Es sind Abstimmungen über Personen, Parteien, Themen oder Handlungsoptionen. Sie dienen dem fairen Interessenausgleich in Gruppen. Das Wahlsystem ist der Modus, nach dem aus individuellen Präferenzen der einzelnen Wähler eine kollektive Präferenzliste erstellt wird.
Was könnte eindeutiger und objektiver sein, als bei Meinungsverschiedenheiten einfach abzustimmen?
Weit gefehlt. Das Thema Wahlen und Wählen ist ein mit Seltsamkeiten und Großproblemata reich gespicktes Terrain. Selbst weithin akzeptierte Wahlsysteme können eine ganze Reihe von paradoxen Eigenschaften aufweisen und Kuriositäten an den Tag legen.
Um Sie ganz schonend auf den Geschmack zu bringen: Die folgende Geschichte gehört zur Folklore, die sich um den amerikanischen Philosophen Sidney Morgenbesser rankt. Einmal nach dem Mittagessen im Restaurant möchte der Philosoph ein Dessert bestellen. Die Speisekarte bietet Apfelkuchen, Erdbeereis und Kirschtorte. Morgenbesser bestellt den Apfelkuchen. Die Bedienung nickt. Kurz darauf kommt sie nochmals an seinem Tisch vorbei und sagt, dass es ohnehin keine Kirschtorte mehr gebe. Darauf Morgenbesser: «Wenn das so ist, hätte ich lieber das Erdbeereis.»
Macht das Sinn?
Überhaupt nicht!
Da sind wir uns einig. Doch genau diese ungewohnte Unlogik stellt sich bei Anwendung vieler populärer Verfahren des Wählens ein. In der Theorie der Wahlsysteme belegt man diese Eigenart mit dem Begriff
Sensitivität gegenüber irrelevanten Alternativen
. Im obigen Fall ist die Kirschtorte eine irrelevante Alternative für die Entscheidung zwischen Apfelkuchen und Erdbeereis. Man kann sich vorstellen, dass angesichts der drei Optionen Morgenbesser ursprünglich Apfelkuchen bestellt hat, weil er Apfelkuchen Erdbeereis vorzieht und Erdbeereis Kirschtorte (oder weil er Apfelkuchen Kirschtorte vorzieht und Kirschtorte Erdbeereis). Wenn aber die Kirschtorte als Möglichkeit entfällt, dann kehrt sich seine Präferenzreihung zwischen Apfelkuchen und Erdbeereis plötzlich um und das Erdbeereis wird gegenüber dem Apfelkuchen favorisiert. Ein paar gängige Wahlsysteme reagieren bei Wegfall bestehender oder umgekehrt bei Hinzunahme weiterer Wahlalternativen genau in der beschriebenen Weise und zeigendamit eine Art von kollektiver Ranglisten-Unordnung oder gar -Irrationalität. Das sind keine Petitessen.
Sturz der Präferenzordnung.
Man muss nicht einmal allzu tief schürfen, um bei einigen Wahlsystemen auf diese Disposition zu stoßen. Betrachten wir einmal folgendes Wahlergebnis
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