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Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut

Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut

Titel: Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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gebräuchliches Wahlsystem ist der Mehrheitsentscheid. Hierbei kann jeder Wähler genau eine Alternative auswählen. Durch die Anzahl der Stimmen, die auf jede Alternative entfallen, ergibt sich eine Reihung. Die Alternative mit den meisten Stimmen gewinnt die Wahl. Ganz einfach, naheliegend, wohlbekannt und vielfach erprobt ist das.
    Was liefert der Mehrheitsentscheid in unserem Beispiel?
Mehrheitswahl
Präferenzen
Prozente
A
B
C
D
A > B > C > D
10
10
 
 
 
A > C > D > B
9
9
 
 
 
A > D > B > C
11
11
 
 
 
B > C > D > A
22
 
22
 
 
C > D > B > A
23
 
 
23
 
D > B > C > A
25
 
 
 
25
Gesamt
100
30
22
23
25
Ergebnis
A gewinnt!
    Tabelle 23: Mehrheitsentscheid im Pivato-Beispiel
    Der Sieger durch Mehrheitsentscheid ist A.
    Das scheint eindeutig und berechtigt. Und dabei könnte man es belassen. Doch bei näherem Hinsehen hat die Ausrufung von A als Gesamtsieger einen eklatanten Schönheitsfehler. Im unmittelbaren Vergleich bevorzugt jeweils eine Mehrheit von Wählernjede der anderen Alternativen gegenüber A. In direkten Zweikämpfen behält A gegenüber keinem seiner Konkurrenten die Oberhand: 22 % + 23 % + 25 % = 70 Prozent favorisieren B gegenüber A, 22 % + 23 % + 25 % = 70 Prozent favorisieren C gegenüber A, 22 % + 23 % + 25 % = 70 Prozent favorisieren D gegenüber A. Das ist ein Makel, der das Gerechtigkeitsempfinden beträchtlich stören könnte. Er ist aber eine inhärente Eventualität des Mehrheitsentscheids als Wahlmodus. Diese Eigenart gibt uns hier Anlass zu der Frage: Wenn A jedes Duell verliert, wie konnte er dann überhaupt gewinnen?
    Eine genaue Durchleuchtung der Daten liefert die Antwort. Zwar hat A eine relative Mehrheit für sich, aber die absolute Mehrheit der Wähler gegen sich. Er befindet sich jedoch insofern im Glück, als seine Gegner untereinander zerstritten sind und sich aufspalten in Befürworter von B, C und D. Das tun sie so ausgewogen, dass A mit seiner relativen Mehrheit gerade noch den Sieg davonträgt.
    Dieses Phänomen ist eine der wohlbekannten Schwächen von reinen Mehrheitsentscheiden. Mithin könnte man den Mehrheitsentscheid mit guten Gründen als zu grobkörnig kritisieren. In der Detailauswertung der individuellen Präferenzlisten ist er oberflächlich, weil er von allen vorliegenden Informationen nur verarbeitet, welche Alternative an der jeweils ersten Stelle der jeweiligen Präferenzordnungen steht. Damit ist ein großer Informationsverlust verbunden. Und diese frei flottierenden, ungenutzten Informationen können Seltsamkeiten der beschriebenen Art erzeugen.
    Eine Verbesserung, die in der Praxis gerne vorgenommen wird, besteht darin, noch einen zweiten Wahlgang einzuführen, bei dem nur die beiden Erstplatzierten des ersten Wahlgangs gegeneinander antreten.
    Im Pivato-Szenario hätte das folgende Auswirkung. Im zweiten Wahlgang würden A und D zur Wahl stehen. D ginge daraus mit 70 % als haushoher Sieger hervor. Bei dieser Verfeinerung des Mehrheitsentscheides wäre D gewählt.
    Ist D ein Gesamtsieger, der unserem Sinn für Gerechtigkeitmehr entspricht als A? Das ist keine ganz einfache Frage. Eine Untersuchung der Präferenzlisten und Prozente macht aber bald deutlich: 10 % + 9 % + 22 % + 23 % = 64 Prozent der Wähler geben C im direkten Vergleich mit D den Vorzug. Das ist ärgerlich. Faktisch liegt es daran, dass die Gegner von D (obige 64 Prozent) sich auf B (32 Prozent) und C (32 Prozent) verteilen. So konnte D im ersten Mehrheitsentscheid den zweiten Platz erringen, obwohl er in direkter Konkurrenz mit C den Kürzeren zieht. Hat also wieder der falsche Kandidat gewonnen? Die Befürworter von C könnten dies denken.
    Auch der um einen zweiten Wahlgang ergänzte Mehrheitsentscheid kann also nicht rundum überzeugen. Probieren wir einen anderen Modus. Etwa den, der in manchen Sportarten, wie zum Beispiel Tennis, eingesetzt wird. Lassen wir die Kontrahenten in einer Serie von direkten Zweikämpfen gegeneinander antreten. Im direkten Vergleich von A und B gewinnt B mit 70:30 Prozentpunkten, anschließend gewinnt B gegen C mit 68:32 und im letzten Zweikampf, dem Finale, unterliegt B gegen D mit 32:68. Ist D also doch ein überzeugender Gesamtsieger?
    Dies zu denken wäre mit einigem Recht möglich, zumal wenn D bei jeder beliebigen Reihung der Zweikämpfe am Ende die Oberhand behielte. Und das ist des Pudels Kern. Denn siehe da, mit einer anderen Abfolge der paarweisen Vergleiche hätten wir kurioserweise einen anderen Gesamtsieger:

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