Achtung, Superheld! (German Edition)
Sessel und faltete die Hände ordentlich im Schoß.
»Nun, junger Mann. Du bildest dir also ein, ein Liebhaber von Comics zu sein, ist das so?«
»Allerdings«, log Daniel. »Tatsächlich interessieren mich am meisten die klassischen Sachen, Mr Plunkett, ich bin ein Fan des Goldenen Zeitalters.«
»Was du nicht sagst. Merkwürdig, dass ein Junge in deinem Alter sich für so was begeistert. Die meisten jungen Leute interessieren sich doch nur für ihre Videospiele mit jeder Menge Explosionen und so Zeug. Es ist keine Zeit mehr für echte Geschichten.«
Plunkett lehnte sich nach vorn und zwinkerte ihm verschwörerisch zu. »Sag mal, hast du nicht vielleicht irgendwelche Süßigkeiten in deinem kleinen Rucksack? Vielleicht ein oder zwei Lakritzbonbons?«
»Äh, nein, Sir. Tut mir leid.«
»Wie schade. Ich hätte wirklich große Lust auf ein Lakritzbonbon.«
Daniel lächelte den alten Mann verlegen an und blickte sich dann in dem Lesezimmer um, dass Herman Plunkett für sich selbst eingerichtet hatte. Die Bücherstapel schienen fast ausschließlich aus alten Schundromanen und gebundenen Abenteuer-Anthologien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu bestehen, alle in tadellosem Zustand. Es war, als betrete man eine Bibliothek außerhalb jeder Zeitrechnung. Dieser Plunkett war ein Mann, der offenbar sein Steckenpferd gefunden hatte und dann dabei geblieben war. Ein Buch erregte besonders Daniels Aufmerksamkeit – ein in braunes Leder gebundener Band, der allein auf einem Regal an der Seite stand. Auch wenn die Goldprägung des Titels schon stark ver-blichen war, konnte Daniel dennoch den Autor entziffern – Sir Arthur Conan Doyle.
»Sherlock Holmes, ›Sein letzter Fall‹«, sagte Plunkett, der Daniels Interesse bemerkt hatte. »Bist du ein Sherlockian, junger Mann?«
»Ein was?«, fragte Daniel.
»Ein Sherlockian. Ein Anhänger des größten Detektivs der Welt.«
Daniel überlegte. Er hatte den Begriff noch nie zuvor gehört, doch sein Klang gefiel ihm.
»Ja, ich glaube schon. Aber diese Geschichte habe ich nie gelesen. Das Buch sieht ziemlich alt aus.«
Plunkett sprang aus seinem Sessel und nahm den Band vom Regal. Für einen kleinen alten Mann war er erstaunlich flink.
»›Sein letzter Fall‹ von Sir Arthur Conan Doyle, erstmals erschienen im Jahr 1893«, sagte Plunkett und wischte den Staub vom Buchrücken. »Dies hier ist eine spätere Ausgabe, die dennoch wertvoll ist. Eines der wenigen Bücher in meiner Bibliothek, die nicht zum Lesen gedacht sind. Der Tod des Sherlock Holmes. Sei vorsichtig damit.«
Plunkett reichte Daniel das Buch, der es behutsam auf einen freien Tisch legte (es war zu schwierig, es mit nur einem Arm zu halten). Vorsichtig öffnete er den Buchdeckel und blätterte ehrfürchtig die ersten Seiten durch. Auf der Titelseite waren zwei Männer abgebildet, die auf einer Brücke miteinander kämpften. Unter der Brücke ergoss sich ein riesiger Wasserfall.
»Die Zeichnung zeigt Holmes’ Kampf mit seinem Erzfeind Professor Moriarty am Reichenbachfall«, erklärte Plunkett. »Ihr Kampf treibt sie über die Brücke und sie stürzen gemeinsam hinab in den Wasserfall. Ein großer Tod, sehr dramatisch. Natürlich hat Doyle Sherlock Holmes schließlich wieder auferstehen lassen«, fuhr Plunkett mit einem Lächeln fort. »In Abenteuergeschichten bleibt keiner lange tot.«
Daniel sah sich das Bild genau an – die verhängnisvolle Szenerie, den Ausdruck der Verzweiflung auf dem Gesicht der beiden Männer. Er fand es schrecklich, seinen Helden wenige Augenblicke vor seinem Tod zu sehen. Er brauchte ungefähr eine Minute, um die Unterschrift des Künstlers zu entdecken. Da, verborgen in der feinen Strichzeichnung des herabrauschenden Wasserfalls, standen die Initialen H. P.
»Sie haben das gezeichnet?«, fragte Daniel.
»So ist es! Früher, als ich ein junger Illustrator war. Damals habe ich jeden stumpfsinnigen Job angenommen, für den es einen Gehaltscheck gab, doch das hier habe ich umsonst gemacht. Das war ein Liebesdienst.«
Daniel klappte das Buch zu und griff in seinen Rucksack. Er zog das Bündel eingetüteter Comics hervor und legte sie vor Mr Plunkett hin.
»Haben Sie die auch gezeichnet?«
Plunkett blinzelte hinter seinen dicken Brillengläsern und hielt sich eins der Hefte vor die Nase. Daniel sah, wie sich das faltige Gesicht zu einem breiten Grinsen verzog.
»Tja, wer hätte das gedacht?«, sagte er und schaute die anderen Hefte durch. »Schön, dich zu sehen,
Weitere Kostenlose Bücher