Acornas Welt
schon annahm, es könnte nicht mehr schlimmer werden, schickten die Ahnen – die einhörnigen, vierbeinigen Geschöpfe, die damals, vor Anbeginn der Zeit, eine von zwei Spezies gewesen waren, aus denen schließlich die Linyaari entstanden – nach Großmama Naadiina. Sie bestanden darauf, dass Großmama die Raumfahrer, die trotz der Heilversuche durch ihre Verwandten und die Ärzte immer noch unter Albträumen und anderen emotionalen Problemen litten, zu ihnen brachte. Alle sollten die Ahnen in ihrem Heim in den Hügeln aufsuchen. Die persönlichen Betreuer der Ahnen bezeichneten dies als »Klausur«. Für Maati war es einfach nur Verlassenwerden.
Kaum waren Großmama und die anderen aus ihrem Blickfeld verschwunden, schickte die Viizaar auch schon nach Maati und erklärte ihr, sie sei zu jung, um allein in dem Pavillon, den sie mit Großmama teilte, zurückzubleiben. Also würde Maati eine Gästematte im Zelt der Viizaar erhalten und dort schlafen, bis Großmama zurückkehrte.
»So bist du auch gleich greifbar, wenn ich dich brauche«, sagte die Viizaar mit einem falschen Lächeln. Tatsächlich hatte sie einfach vor, Maati im Auge zu behalten, jedes Mal, wenn Maati jemand anderes besuchen wollte oder eingeladen wurde, mit einer Gruppe junger Leute zu grasen, erfand Liriili einen angeblich dringenden Auftrag für ihre Botin.
Endlich begriff Maati, dass sie nur eine einzige Möglichkeit hatte, der Viizaar einige Zeit auszuweichen, nämlich indem sie das tat, was Liriili ihr ohnehin schon vorwarf, und sich bei ihren Aufträgen Zeit ließ.
Wie zum Beispiel bei diesem letzten Botengang. Spät am Abend, mitten in einem Regenguss, hatte man sie zum Raumhafen geschickt, um Thariinye, der Dienst in der Komzentrale hatte, einen Korb handgepflückten Grüns zu bringen, den die Viizaar persönlich arrangiert hatte. An dem Korb war ein kleiner Brief befestigt, um Thariinye zu zeigen, wie hoch er in der Gunst der Dame stand.
Als Maati ihm den Korb reichte, hatte Thariinye jedoch nur gestöhnt. »Oh nein.«
Maati schüttelte sich das Wasser aus der Mähne und spähte in den Korb. »Was ist denn? Magst du diese Sorten nicht? Ich werde es bestimmt nicht wieder zurücktragen. Mir tun die Füße weh. Sie lässt mich jetzt Tag und Nacht herumrennen.
Ich bin müde.« Sie warf sich in den Sessel an der zweiten Komkonsole und streckte die Beine aus.
»Tut mir Leid, Kleine. Möchtest du etwas davon? Es sind ausgesprochen gute Gräser. Ich lege einfach nur keinen Wert darauf, Geschenke von unserer Anführerin zu erhalten.«
Maati betrachtete ihn einen Augenblick lang forschend aus zusammengekniffenen Augen. Thariinye hatte sich ein wenig verändert, seit er und Khornya aus der Galaxis ihres Volkes zurückgekehrt waren. Er war so eingebildet gewesen, als sie hier eintrafen, und er hatte damit geprahlt, dass er und Khornya Lebensgefährten werden sollten. Doch später hatte Maati seltsamerweise auch von vielen anderen jungen Frauen gehört, denen Thariinye den Hof gemacht hatte. Sie beschwerten sich, dass Thariinye sie gerne gebeten hätte, für immer mit ihnen zu grasen, wenn Khornya nicht auf ihn Anspruch erhoben hätte.
Dabei hatte Khornya, wie Maati und auch Thariinye selbst nur zu gut wussten, ihn eigentlich überhaupt nicht gemocht und ihn erst recht nicht als Lebensgefährten haben wollen. Thariinye sah sehr gut aus, wenn man diesen hoch gewachsenen, schlanken, muskulösen Typ mochte, aber Khornya war irgendwie… älter und klüger als er, und seine Art gefiel ihr nicht – Thariinye war ein bisschen zu sehr von sich überzeugt.
Maati musste allerdings zugeben, dass jeder, dem es gelang, so viele Frauen, die Gedanken lesen konnten, für sich zu gewinnen, irgendetwas an sich haben musste. Eine Menge Nyiiri, sagte Großmama immer. Was so etwas Ähnliches wie Mut war, nur dass es bedeutete, dass er mutig war, Dinge zu tun, die er eigentlich nicht tun sollte, und Dinge zu sagen, die besser ungesagt geblieben wären.
»Vielleicht will sie dich nur wissen lassen, dass sie dich nicht verurteilt, auch wenn sich diese jungen Damen über dich beschwert haben«, meinte Maati nun ihrerseits mit ein bisschen Nyiiri und beobachtete ihn weiter, um zu sehen, was er sagen würde.
Ein Donnergrollen kündigte die nächste Windbö an, die den Regen gegen die Sichtluken peitschte. In der Ferne war ein gezackter Blitz zu sehen, der über den beinahe schwarzen Himmel zuckte und die Nacht kurz in gleißende Helligkeit tauchte.
Thariinye
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