Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
Vom Netzwerk:
waren aneinandergekettet, und während die Höcker des Dinosauriers abschmolzen, versank das Krokodil, fast unmerklich, im Fluss. Das dicke Plastikrohr, durch das der Sand schoss, ragte vom Bagger hinüber auf den Lastkahn.
    Der Sand wurde nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, an anderer Stelle wieder im Flussbett deponiert – er wurde abtransportiert! Eine unerschöpfliche Einnahmequelle, zum Beispiel zur Finanzierung eines Großprojekts wie das der historischen Nachbildung einer schwimmenden Mühle.
    Der Schwimmbagger war derselbe, der die ganze Woche auf dem Fluss arbeitete, das Modell, das der ARNI gehörte und das Di Natale Lunau gezeigt hatte. Erst jetzt fiel Lunau auf, dass Vito den Bagger gar nicht vorgeführt hatte, sie hatten das Gefährt, nach einem flüchtigen Gruß, einfach links liegen lassen. Aber wem gehörte der Lastkahn? In der Dunkelheit war weder eine Flagge noch ein Name oder die Zulassungsnummer am Rumpf zu erkennen.
58
    Silvia lag im Doppelbett und lauschte auf die unnatürliche Stille im Haus. Kein Atmen neben sich. Das Parkett im Arbeitszimmer knarrte nicht unter den Rollen des Schreibtischstuhles, im Wohnzimmer lief kein Fernseher, niemand kam auf Zehenspitzen die Treppe hoch, im Bad rauschte kein Wasserhahn. Silvia wollte es sich nicht eingestehen, aber am Vortag hatte die Anwesenheit des Journalisten, die verhaltenen Geräusche aus dem Obergeschoss, ihr ein Gefühl von Sicherheit gegeben. War es nur das, oder war es mehr? Silvia weigerte sich, nach einer Antwort zu suchen. Sie drehte den Kopf auf ihrem Kissen – und lag auch nicht bequemer. Sie ließ den Kopf Richtung Vito gleiten, direktauf das Laken, wo man die Wärme spürte, noch bevor man den Körper berührte. Jetzt war das Laken kalt, aber Vitos Geruch war da. Sein Nacken, seine Brust. Silvia fuhr mit den Händen unter Vitos Kissen, zog seinen Schlafanzug hervor und presste ihr Gesicht hinein. Der Duft stieg ihr in die Nase. Schmerzhaft und betörend. Ihr Kiefer fing zu zucken an, aber sie unterdrückte das Weinen, sie wälzte sich auf den Bauch, in Konvulsionen zog sich ihr Zwerchfell zusammen, so dass sie mit dem Gesicht in die Matratze pochte.
    Sie meinte, einen Schrei gehört zu haben, fuhr aus dem Bett, wischte sich mit dem Pyjama die Tränen ab und lief auf den Flur. Es kam aus Saras Zimmer.
    »Ich bin da«, sagte Silvia leise, als sie die Tür aufschob. Sara saß in ihrem zerwühlten Bett und drehte den Kopf ein wenig zur Seite, weil der Lichtschein aus dem Flur sie blendete.
    »Mama, ich habe Papa gesehen. Er war da, aber nur kurz.«
    Silvia setzte sich auf die Bettkante und drückte Saras Kopf an ihre Brust.
    »Wieso bleibt er immer nur so kurz? Und nur nachts?«, fragte Sara.
    Silvia suchte nach einer Antwort. Sie biss sich auf die Lippen und konnte die Tränen nicht zurückhalten.
    »Verstehst du das auch nicht?«, fragte Sara.
    »Nein, das verstehe ich auch nicht«, sagte Silvia.
    »Du hast ihn wenigstens schon früher gekannt. Du hast viel Zeit mit ihm verbracht. Mirko auch, jedenfalls mehr als ich. Muss ich jetzt als erste sterben, damit ich die Zeit nachholen kann?«
    »Unsinn«, sagte Silvia. »Schlaf jetzt.«
    Sie drückte Sara auf das Kissen und strich ihr über das wirre Haar. Aber die Augen des Mädchens waren hellwach.
    »Magst du den blonden Mann mit der Beule?«
    »Ja.«
    »Sehr?«
    »Nein.«
    »Wie sehr? Von null bis zehn?«
    Silvia überlegte.
    »Fünf«, sagte Silvia.
    »Ich sechs«, antwortete Sara.
    »Aha!«
    »Darf ich dich wieder rufen, wenn ich nicht schlafen kann?«
    »Sicher«, sagte Silvia, »aber versuch es wenigstens.«
    Sara nickte, und Silvia ging zurück in ihr Schlafzimmer. Sie machte das Deckenlicht an und starrte auf das Bett. Neben dieser Lücke würde sie nie in den Schlaf finden. Der Geruch war da. Vito nicht. Sie fing an, das Bettzeug auf seiner Seite aufzuknöpfen, sie zog daran, aber als sie das traurige, nackte Federbett sah, hielt sie inne. Sie brachte es nicht fertig, es abzuziehen. Also löschte sie wieder das Licht, streckte sich aus und wartete auf den Schlaf.
59
    Der Mond war hinter einer dichten Wolkenwand verschwunden, nur manchmal drang diffuses Licht bis auf die Wasseroberfläche. Der Fluss gurgelte unter Lunaus Füßen, die unendliche Fläche schien mit schwarzem Lack überzogen, der sich manchmal zu Strudeln formierte, manchmal von Windböen angeraut wurde.
    Lunau hatte einen Holznachen gefunden, der im Vorland an eine Pappel gebunden war. Er war nicht angekettet

Weitere Kostenlose Bücher