Acqua Mortale
Rücken.
»Hej«, schrie er.
Lunau wiegelte ab. Der Mann schrie immer wieder »Hej«, nahm Sand in die Hand und schleuderte ihn in die Luft.
» Sabbia «, schrie der Mann und warf Sand in die Luft.
»Oder Giuseppe Pirri?«
» Sabbia. «
»Alberto Gasparotto?«
» Sabbia. «
»Andrea Zappaterra?«
» Sabbia. «
»Silvia Di Natale?«
» Sabbia. «
Idiot, dachte Lunau und arbeitete sich, trotz seiner Ungeduld, möglichst respektvoll durch die Herde. Als er den Eindruck hatte, das Bimmeln folge ihm, krabbelte er schnell die Böschung hoch und ließ den Wagen an.
Die Corelli-Brüder hatten Lunau erzählt, was sie wussten: Dass Vito Di Natale eine schwimmende Mühle an historischem Ort installieren wollte. Eine Mühle, die sie für ihn gebaut hatten, die abgefackelt und ein zweites Mal gebaut worden war. Was die Corelli-Brüder nicht wussten, war, ob Di Natale allein agierte. Auch wenn die Werftbetreiber Di Natale einen Großteil der Kosten gestundet hatten – auf die Zahlung der beiden Tranchen von 35 000 Euro und, zwei Jahre später, 130 000 Euro, hatten sie bestanden. Und am Donnerstagabend hätte Di Natale dieses Geld bei ihnen abliefern sollen. Andernfalls hätten sie ihren Betrieb nicht halten können. Aber woher hatte Vito Di Nataledieses Geld? Hatte er Finanziers? War Pirri ein Teilhaber? War Pirri ein Teilhaber, der seinen Beitrag nicht mehr leisten konnte? Wieso hatte er dann jedoch Di Natales Antrag für die Grundstücksnutzung abgelehnt? Oder war alles ganz anders: Hatte er von dem Projekt Wind bekommen und versucht, Vito zu erpressen? Hatte er das Genehmigungsverfahren blockiert, um sich schmieren zu lassen? Weil er das Geld dringend für seine Spielschulden brauchte?
Das wäre eine Erklärung, bei der alle Mosaiksteine zusammenpassten: Pirri fängt Di Natale ab, der mit dem Geld unterwegs zu den Bootsbauern ist. Pirri will Schmiergeld, erfährt aber, dass Di Natale gar nicht mehr darauf angewiesen ist, ihn zu schmieren, weil er sich schon anderweitig ein Grundstück besorgt hat, bei der Behörde in Venetien, auf der anderen Flussseite. Pirri sieht seine Felle davonschwimmen. Das Geld vor Augen, dreht er durch und bringt Di Natale um. Passte alles zusammen – bis auf die Tatsache, dass Pirri am nächsten Tag seine Autos verkauft. Hat er nur einen kleinen Anteil genommen, aus Respekt vor dem Freund? Genau die Summe, die er als Schmiergeld verlangt hatte? Aber warum der Verkauf der Autos? Hatten die Geldeintreiber eines Wucherers ihn tatsächlich abgefangen und abgeschöpft?
Möglich. Allerdings blieb noch eine entscheidende Frage unbeantwortet: Woher hatte Di Natale das Geld in dem Koffer, laut Corelli-Brüdern 130 000 Euro? Die erste Tranche an die Bootsbauer hatte er mit seiner Lebensversicherung bezahlt. Aber die zweite, viel üppigere?
Die Werftbesitzer hatten Lunau erklärt, dass Di Natale für seine schwimmende Mühle eine Stelle mit besonders starker Strömung brauchte, eine Strömung, wie sie sich normalerweise in engen Flussbiegungen bildet. Das Grundstück F 22/c lag an so einer Biegung. Und auch das Alternativgrundstück, das Di Natale gefunden hatte. Es lag nämlich F 22/c genau gegenüber.
Lunau fuhr zurück bis zur großen Brücke. Ein Eurostar donnerte gerade über die Parallelbrücke und zog ein flirrendes Lichterband durch die Nacht. Lunau überquerte den Po, der als schwarze, von winzigen Lichtreflexen unterbrochene Ebene unter ihm lag. Jedes Mal befiel ihn ein etwas flaues Gefühl, wenn er an die unendlichen Massen kalten Wassers dachte, an die Strudel und Gifte, die Tiere und Schlingpflanzen, die darin lebten. Und er war erleichtert, wenn er wieder festen Boden unter den Reifen des Autos hatte. Er bog vom Brückenkopf rechts auf den Norddeich und fuhr wieder flussabwärts, tastete sich mit den Scheinwerfern über das ungesicherte, sich schlängelnde Asphaltband, das rechts von Baumkronen und Gestrüpp überragt wurde. Er hatte auf den Kilometerzähler gesehen und hielt nach 500 Metern an. Er stieg aus dem Wagen, in die feuchte, kühle Nachtluft. Die Motoren des Schwimmbaggers waren ganz nahe. Er kletterte wieder hinunter ins Vorland, das auf dieser Flussseite nur aus einem breiten Sandteppich bestand. Waren auf der Gegenseite Schwarzpappeln in der üblichen geometrischen Formation gepflanzt, so befanden sich hier nur Unkraut und Gestrüpp. Es schien also nicht um den Bewuchs zu gehen, entscheidend für die Wahl des Grundstücks war die Lage. Lunau kämpfte sich bis zum
Weitere Kostenlose Bücher