Acqua Mortale
Er musste die Tastensperre aufheben und auf die große grüne Taste drücken. Dann würde das Handy automatisch die letzte gewählte Nummer noch einmal anrufen. Balbonis Nummer.
Da merkte Lunau, dass er die Motoren nicht mehr hörte. Er hörte gar nichts mehr, nur das Pfeifen. Die Szenen, die sich in der Dunkelheit abspielten, waren stumm. Er wand sich auf dem Sandhaufen, um seine Klamotten schaben zu hören. Sie schabten nicht. Er schlug die Zähne aufeinander. Er spürte den Druck in seinem Kiefer, aber er hörte kein Klappern.
Er fing vor Verzweiflung zu zucken an. Er ignorierte den Schmerz, krümmte den Oberkörper, zog die Beine in Embryonalstellung und streckte sich dann mit einem Ruck. Die Kabelbinder schnitten in seine Haut, mehr passierte nicht. Er lag wieder flach auf dem Bauch, während die Männer offensichtlich diskutierten, was sie mit ihm anfangen sollten. Sie waren nur zu dritt. Wo war Mario? Warum war Mario nicht bei ihnen? Was trieb Mario? Mario war der Älteste, seine Gesten hatten eine besondere Autorität ausgestrahlt. Lunau musste sich auf ihn konzentrieren. Völlig nüchtern würde Mario abwägen, wie man das Problem, das Lunau verursacht hatte, aus der Welt schaffen konnte. Und diese Abgeklärtheit Marios machte Lunau viel mehr Angst als die sadistische Brutalität der Brüder. Lunau versuchte, hinter seine Schulter zu sehen, er wehrte sich gegen die Erstarrung, indem er wie ein Verrückter seine Streckbewegungen wiederholte, bis er ins Rutschen kam und seitlich von dem Sandhügel glitt.
Da tauchte Mario hinter einer großen Kabelrolle auf, das Handy am Ohr. Er nickte. Mario schien Lunau gesehen zu haben,denn er streckte den Arm in seine Richtung, und dann kamen alle vier angelaufen. Die beiden Brüder griffen Lunau an den Oberarmen, zerrten ihn wieder auf den Hügel, und einer setzte sich auf seinen Rücken. Er wog so viel wie ein Omnibus. Lunau bekam keine Luft.
»Was hat er gesagt?«, fragte der junge Blonde, den Lunau nicht kannte.
»Na, was wohl?«, erwiderte Mario.
Lunau hatte also doch nicht das Gehör verloren, auch wenn die Stimmen wie durch Watte kamen. Lunau fiel ein, dass er die Ohrplugs trug, aber das allein konnte die Dämpfung nicht erklären. Vermutlich war auch Blut in seine Gehörgänge gelaufen, hatte sich mit Sand verklebt. Oder er hatte von dem Schlag ein Knalltrauma.
Der Blonde starrte Mario an, dann zerrte er an seiner Schulter.
»Du meinst doch nicht, dass …«, er warf einen Blick auf Lunau. »Da mache ich nicht mit. Ihr seid wahnsinnig.«
»Red keinen Scheiß, wir sitzen alle in einem Boot.«
Der Blonde schaute die beiden Riesen an. »Jetzt sagt doch auch mal was. Das können wir doch nicht machen. Wegen ein bisschen Sand.«
Die beiden Brüder schraubten an irgendwelchen Geräten herum. Sie schauten kurz auf. Aus einem Riss in den Wolken lugte ein Fetzen des Mondes hervor, ließ Glanzlichter über die Reling und die Radarantenne springen.
»Ein bisschen Sand? Du hast jahrelang hier deine Sonderzulagen kassiert. Du wusstest genau, was gespielt wird.«
»Ich habe einen Job erledigt. Sand hinter dem Deich, Sand vor dem Deich, was macht das schon für einen Unterschied?«
»Jetzt merkst du, dass es einen Unterschied macht, und halt die Schnauze«, zischte Mario mit einem Blick auf Lunau. »Er hat den Kahn gesehen, er hat eure Fressen gesehen, du sagst ihmam besten noch, für wen du arbeitest, dann hast du dir die Entscheidung abgenommen, was aus ihm werden soll.«
Lunau fingerte hektisch an seiner Hosentasche herum, aber er fand das Handy nicht.
»Ich mache das nicht, hast du mich verstanden? Ohne mich«, schrie der Blonde.
»Balboni«, wollte Lunau sagen, aber es hörte sich nur nach einem Mampfen an.
Einer der Riesen hatte sich wieder über die Gerätschaften gemacht. Lunau erkannte seinen Korg und das Handy. Die Männer hatten es ihm natürlich längst abgenommen.
»Halt die Fresse«, schrie jemand. Es musste der andere der beiden Brüder sein. Der auf Lunaus Rücken.
»Lass ihn reden«, sagte Mario. Er scheuchte den Kerl von Lunau herunter und richtete dessen Oberkörper auf. Lunau saß, die Arme auf seinem Rücken wie abgestorben. Er hatte Mühe, den Kopf aufrecht zu halten, alles drehte sich. Vor ihm stand Mario und starrte ihn an.
»Was hast du gesagt? Für wen arbeitest du?«
»Balboni«, sagte Lunau.
»Welchen Balboni?«
»Michele Balboni, Kommissar Balboni.«
»Was soll der Scheiß? Du arbeitest für Balboni? Als was denn? Als
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