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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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Prozesstag ist das Thema für uns kein Thema.«
    Amanda winkte ab. »Ich hab’s kapiert. Es geht mir nicht um den Artikel.«
    Sie ging durch den engen Korridor bis zur letzten Tür, klopfte kurz und trat ein, ohne auf eine Aufforderung zu warten. Vittorio und der Bildredakteur, ein älterer Herr mit Schnauzbart, schauten sie verdutzt an.
    »Ich muss dich kurz sprechen, Vittorio«, sagte Amanda.
    »Du siehst doch, dass ich gerade in einer Unterredung bin.«
    »Es ist wichtig.«
    »Meinst du, unsere Unterredung nicht?«
    Aufgeblasenes Arschloch, dachte Amanda. Vittorio war Anfang dreißig, trug von Oktober bis März einen Woll- und vonApril bis September einen Baumwollpullover, und ganzjährig, wohl als einziger seines Jahrgangs, einen Seitenscheitel. Er hatte einen schwammigen Körper, der sich, servil und egoistisch wie eine Sonnenblume, stets in die Richtung des jeweils Ranghöchsten beugte. Irgendwann würde er schwarz und vertrocknet irgendwo stehen bleiben, als Wegweiser zum Chefredakteur.
    »Ich würde ja gerne in deinem Büro auf dich warten, aber du hast hier kein Büro, oder?«
    Vittorio war sprachlos, und Amanda bereute ihren Ton. Er war ein armes Schwein. Außerdem wollte sie etwas von ihm, nicht umgekehrt.
    »Draußen steht eine Bank«, sagte der Bildredakteur und beugte sich wieder über das Display von Vittorios Kamera.
    Amanda wartete zwanzig Minuten, dann kam Vittorio. Mit Fototaschen behängt. Er versuchte, Amanda auf die Wangen zu küssen, und sie wich so weit zurück, dass sein Mund ihre Haut nicht berührte.
    »Du hast am Donnerstagabend Fotos von der Parteiversammlung der Lega Nord geschossen?«, fragte sie.
    Er nickte.
    »Kann ich die mal sehen?«
    Er setzte sich neben Amanda auf die Bank, tauschte die Speicherkarte in einer Kamera aus und schaltete sie ein. Auf dem Display sah man Fahnen und Redner an einem Pult.
    »Hast du auch Fotos vom Publikum?«
    »Natürlich.«
    Er scrollte in den Bildern, aber auf dem Display konnte man kaum Gesichter erkennen. Amanda holte ihren Laptop aus dem Rucksack, schloss die Kamera an und betrachtete die Fotos in einem größeren Maßstab.
    »Hast du meinen Vater gesehen?«
    »Den kenne ich nicht.«
    »Schmächtig , Anfang fünfzig , sieht aber aus wie sechzig. Wenn er da war, dann saß er bestimmt in der ersten Reihe.«
    Sie gingen die Bilder durch. Adelchi war nirgendwo im Publikum auszumachen. Dafür entdeckte Amanda Alberto Gasparotto. Die Aufnahmen waren mit Zeitangabe gespeichert. Alberto Gasparotto hatte von 20 bis kurz nach 22 Uhr im Publikum gesessen. Er hatte ein Alibi. Bis 22 Uhr.
    »Was passierte nach der Versammlung?«, fragte Amanda.
    »Es gab noch einen kleinen Umtrunk. Im Parteibüro.«
    »Warst du dabei?«
    »Natürlich«, sagte Vittorio mit einem Stolz, der Amanda unangenehm berührte. War Vittorio stolz auf sein Berufsethos oder darauf, dass er als offener Sympathisant zu dem inneren Kreis Zutritt hatte?
    Vittorio wechselte die Speicherkarte. Man sah einen engen Raum, dessen Wände mit Plakaten bedeckt waren. Ein keltischer Krieger, der stolz sein Schwert in die Luft reckt. Boat People, die in Horden aufs italienische Festland stürmen, darüber ein roter Balken: »Wir stoppen die Invasion.«
    »Da ist er ja«, sagte Amanda. Ihr Vater stand mit einem Sektglas in einer Gruppe von Männern, darunter Gasparotto, und diskutierte angeregt. Ernste Mienen.
    »Ach den meinst du!«, sagte Vittorio. »Das ist dein Vater?« »Wieso? Kennst du ihn?«
    Er nickte, wechselte wieder die Speicherkarte und blätterte zurück zu den ersten Aufnahmen. Das Podium mit den Spitzen der Ortssektion. Adelchi Schiavon. Er saß zwischen dem Präsidenten und dem Kassier.
    Ihr Vater war also in die Führungsriege aufgerückt. Und sein Alibi stimmte.
63
    Das alte verblichene Blechschild ließ Lunaus Herz höher schlagen. Es zeigte einen Telefonhörer in einer Wählscheibe und stammte noch aus der Zeit, als man italienische Fernsprecher mit profilierten Jetons zu 200 Lire füttern musste. Das Schild hing über dem Eingang einer Bar, und die Bar schien geöffnet. Ein roter Plastiktisch und Stühle standen vor der Tür. Lunau ging hinein.
    Der Tresen, eine lange Glastheke, war leergeräumt. Niemand dahinter. Der Gastraum wirkte kahl, trotz der Bücherborde mit den Blechpokalen und den bunten Ölgemälden an den Wänden. Landschaftsszenen vom Fluss.
    Acht alte Männer standen – Weingläser in der Hand – um zwei Tische und begutachteten Bilder. Sie stritten im Dialekt

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