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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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verarzten, ich muss zuerst telefonieren. Haben Sie alles beobachtet? Man hat versucht, mich umzubringen.«
    Die Worte hatten Lunau so angestrengt, dass er sich einen Moment ausstreckte. Aber als der Schäfer seinen Kopfverband abwickeln wollte und der Schmerz hinter seinen Augenhöhlen wieder zu jaulen begann, rappelte er sich auf.
    »Ich muss zur Polizei«, keuchte Lunau.
    Der Schäfer schüttelte den Kopf.
    »Zappaterra war es«, sagte Lunau.
    Der Schäfer schüttelte den Kopf.
    »Er war nicht an Bord. Aber es waren seine Leute«, schob Lunau nach.
    Er löste sich von der Wand und versuchte, ein paar Schritte ohne Hilfe zu gehen. Sein Kopf war schwer und ließ sich kaum gerade halten, aber die Beine funktionierten. Lunau tastete sich zur Tür.
    »Haben Sie ein Handy?«, fragte er wieder. Der Schäfer schüttelte den Kopf.
    »Etwas Geld? Sie bekommen es wieder.«
    Der Schäfer reagierte nicht. Lunau probierte es in allen möglichen Sprachen und Dialekten, rieb schließlich Daumen und Zeigefinger aneinander. Der Schäfer warf begeistert die Arme nach oben und verschwand in einem Winkel der Hütte. Er kramte unter Gerümpel und kam mit zwei Scheinen zurück, die er Lunau auf die Hand legte. Zwei Hunderteuroscheine.
    »Haben Sie kein Kleingeld? Ich muss telefonieren. Wo ist die nächste Zelle?«
    Der Mann kramte wieder in dem Winkel, diesmal brachte er ein Bündel Fünfzigeuroscheine. Als Lunau wieder nicht zufrieden war, brachte der Schäfer den ganzen Koffer. Einen Aktenkoffer, mit geöffneten Schlössern. Lunau hatte ihn nur ein einziges Mal gesehen, aber er war sich sicher, dass dies Di Natales Aktenkoffer war. Er war leer, bis auf sieben mit Gummis gebündelte Geldscheinpacken.
    »Wo haben Sie den gefunden?«, sagte Lunau. Er durfte nicht schreien, weil sich bei jeder Kieferbewegung die gezackte Linie auf seinem Schädel meldete. Sein Hirn arbeitete langsam und sprunghaft. Er sah zersplitterte Momentaufnahmen vor sich, die keinen Sinn ergaben: Der Schäfer, der im Dickicht den Aktenkoffer aufstöbert; den Schäfer, der auf der Lauer liegt und Di Natale beobachtet; der Schäfer, der …
    Er nahm die Packen und fing an, das Geld zu zählen. Dabei fragte er: »Haben Sie mit Di Natale gestritten?«
    Der Schäfer schüttelte heftig den Kopf.
    »Haben Sie jemanden gesehen, mit dem er gestritten hat?«
    Wieder ein heftiges Kopfschütteln.
    »Aber an die Stelle, wo Sie den Koffer gefunden haben, können Sie sich erinnern?«
    Diesmal nickte der Schäfer.
    »Bringen Sie mich hin.«
    Lunau war nicht sicher, dass er die Summe richtig überschlagen hatte, aber es schienen rund 130 000 Euro in dem Koffer zu sein.
    »Haben Sie eigenes Geld dazugetan?« Der Schäfer schüttelte den Kopf.
    »Haben Sie etwas ausgegeben davon?«, fragte Lunau.
    Wieder schüttelte der Mann den Kopf
    »Ihrer Tochter gegeben?«
    Wieder ein Kopfschütteln.
    »Ist das alles, was Sie gefunden haben?«
    Achselzucken. Eines war sicher: Pirri hatte sich keine 20 000 Euro von der Beute genommen.
    Lunau legte seinen Arm um des Schäfers Schulter, auf den speckigen Poncho, der nach Käse und Schweiß stank. Und dann verließen sie die Hütte.
62
    Im Treppenhaus des Redaktionsgebäudes hing immer derselbe Geruch von Seifenlauge und altem Staub. Amanda wusste nicht, ob ihr Herz so heftig schlug, weil sie die zwei Stockwerke zu Fuß gegangen war, oder weil sie, trotz aller Verachtung für die politischeAusrichtung und die Borniertheit dieses Provinzblattes, so etwas wie Ehrfurcht spürte. Vor 150 Jahren Geschichte. Vor der Aufgabe, die sich selbst eine Tageszeitung wie der Carlino einmal gestellt hatte: Die Bürger aufzuklären, ihnen das nötige Wissen an die Hand zu geben, um sich gegen die Willkür und die Lügen der »höheren Stände« zu wehren. Mit einem Wort: für die Abschaffung dieser höheren Stände zu sorgen.
    Der Chefredakteur war ein aggressiver Polterer, dessen Glaswürfel hinter dem Empfangstresen lag. Er überwachte das Kommen und Gehen auf seiner Etage.
    »Ist Vittorio da?«, fragte Amanda die Redaktionssekretärin, ehemalige »Miss Palio«, die nur drei Jahre älter war als sie, die auf dieselbe Schule gegangen war wie sie und die, wie sie, dank ihrem Vater Zugang zu dieser Etage bekommen hatte.
    »Beim Bildredakteur«, sagte die blondierte Schönheit, den Blick schon wieder auf ihrem Monitor.
    Die Tür des Glaswürfels ging auf, der Chefredakteur sagte, ohne ein Wort des Grußes: »Du brauchst gar nicht zu insistieren, vor dem nächsten

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