Acqua Mortale
Schmerz bis in die Finger- und Fußspitzen Signale sendete.
Ein Hund bellte, in einiger Entfernung, und das Geräusch deckte einen Moment lang die anderen Empfindungen zu. Dann nahm er eine Welle aus Gestank wahr, die ihn würgen ließ. Es roch nach Exkrementen, Tier und nach Erbrochenem.
Lunau lag auf dem Rücken, er war nicht mehr gefesselt. Aber er konnte sich trotzdem nicht bewegen.
»Wasser«, sagte er, aber es kam nur ein heiseres Krächzen. Seine Zunge war pelzig und klebte am Gaumen.
Und dann kamen die Erinnerungen wieder. An das Absinken, den Druck auf den Ohren, die Kälte, bis Lunau plötzlich ganz klar denken konnte. Er hatte nur eine Chance gehabt: Er musste auf festen Grund kommen, versuchen, das Gewicht auszuhaken und sich mit den Beinen so heftig abzustoßen, dass er mit dem Mund über die Wasseroberfläche kam. In der Flussbiegung war das Wasser relativ seicht. Lunau streckte sich, um möglichst schnell zu sinken. Doch trotz des Gewichtes ging es nicht schnell genug. Als er endlich einen Stoß im Rücken spürte, zuckten seine Lungen schon. Er zerrte und schob mit den gefesselten Handgelenken an dem Gewicht in seinem Rücken. Er spürte, wie die Kabelbinder sich in der Öse des Hakens bewegten, aber er fand die Öffnung nicht. Sollte er versuchen, sich mitsamt dem Gewichtabzustoßen? Aussichtslos. Er kniete sich hin, die Strömung zerrte an seiner Flanke, dann setzte er das Gewicht auf den angewinkelten Waden in seinem Rücken ab. Er trat nach oben, schlug die Handgelenke nach unten, probierte es in alle Richtungen. Er konnte die Luft nicht länger anhalten, die Konvulsionen liefen durch seine Atemröhre, schrien danach, dass er den Mund aufriss. Er kämpfte gegen seinen Kiefer an, der sich einfach öffnen und irgendetwas einsaugen wollte, egal was, ein bisschen Sauerstoff würde schon dabei sein. Lunau wusste, wenn er das tat, wurde er bewusstlos. Der Schmerz würde aufhören, aber auch alles andere. Plötzlich schlugen seine Arme nach oben, er hatte es geschafft und drückte sich mit aller Gewalt vom Boden ab, kam kurz an die Oberfläche und sog die Lungen voll. Aber da ging es schon wieder abwärts. Die Strömung zog ihn weg. Und jetzt vermisste er das Gewicht. Er kam nicht mehr nach unten. Die Strömung riss seine Füße zur Seite, er lag schräg im Fluss, verlor die Orientierung. Er versuchte, mit den gefesselten Beinen zu schlagen wie mit einer Schwanzflosse und wieder nach oben zu kommen, aber er strampelte hilflos in dem eiskalten Wasser, bis er das Bewusstsein verlor.
Lunau sah die Kreise an den Wänden, wie Bullaugen. Aber sie waren nicht verglast, sie waren mit einer Membran bespannt. Mit Haut. Ziegenhaut, dachte Lunau. Der verrückte Schäfer war es also gewesen, der ihn aus dem Wasser gezogen hatte.
Lunau gab sich einen Ruck, stemmte sich gegen die Gewichte, die auf seinen Gliedern zu liegen schienen. Er musste Balboni informieren. Diesmal war alles anders. Diesmal musste es eindeutige Spuren geben. Zum Beispiel in Marios Gesicht. Und der Blonde würde vielleicht auch aussagen. Und wenn man den Schwimmbagger erkennungsdienstlich behandelte, würde man nicht nur die Fingerabdrücke aller Beteiligten, sondern auch Fragmente von Lunaus Handy und Audiogeräten finden.
Lunau stützte sich auf den Ellbogen ab. Aber sofort drehte sich alles, ein saurer Schub kam durch seine Speiseröhre. Gehirnerschütterung. Er hob eine Hand und tastete seinen Kopf ab. Er war mit einem Lappen verbunden. Lunau drehte sich auf den Bauch und kroch auf allen vieren in die Richtung, in der das Licht am grellsten war. Er spürte einen frischen Luftzug, und dann kamen auch die Geräusche in einer unerwarteten Vielzahl zurück. Der Wind in den Baumkronen, eine grelle Fahrradklingel, der Motor eines Sportflugzeuges und der blökende Brei Dutzender Schafe.
Plötzlich wurde er an den Schultern gepackt und auf den Boden gepresst.
»Telefon«, stammelte Lunau, »ich brauche ein Telefon.«
Als Antwort kam nur ein wütendes Grunzen.
»Wasser«, sagte Lunau, ein Stoß gegen seinen Rücken, und dann spürte er einen frischen Schwall, den er gierig aus seinem Gesicht leckte.
Er öffnete die Augen einen Spalt und erkannte den Schäfer, dessen irrer Blick über Lunaus Körper jagte.
»Ich muss telefonieren«, sagte Lunau und versuchte wieder, sich aufzurichten. Wieder wurde er auf den Boden gepresst. Der Schäfer hatte Kräuter in der Hand, mit denen er vor Lunaus Gesicht herumfuchtelte.
»Sie können mich nachher
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